Die Trolle
beruhigte sie, doch in der Nacht schmiegten sie sich aneinander und weinten um all das, was sie verloren hatten. Einer kam am Morgen zu ihnen, er erzählte Geschichten, und er lachte, und er hörte ihnen zu. So erreichte er ihre Herzen und vermochte sie zu trösten. Das war Natiole: ein wahrer Freund. Einer, der in jeder Not zu einem steht. Ein Freund!«
Als sie sich setzte, herrschte Schweigen unter den gut zwei Dutzend Wlachaken, die gekommen waren, um Abschied von Natiole zu nehmen. Einige von ihnen hatten schon Geschichten über ihn erzählt, lustige und traurige, heldenhafte und peinliche – Geschichten aller Art, um sich an ihn zu erinnern. Es war ein alter Brauch ihres Volkes, dem sie folgten und mit dem sie Natioles Andenken ehrten. Ihre Erlebnisse mit Natiole würden nicht vergessen werden, und man würde seiner stets gedenken.
»Auf Natiole!«, rief Sten einen Trinkspruch, und alle erhoben ihre Gläser und antworteten ihm: »Auf Natiole!«
»Möge er uns von den dunklen Pfaden aus zusehen, wenn wir seinen Kampf siegreich beenden!«
Während die anderen laut in den Spruch einfielen, schwieg Flores und nippte an ihrem Wein. Es tut mir Leid, Nati, aber es ist noch immer nicht mein Kampf.
»Auf Nati!«, ertönte der Ruf wieder, und diesmal stimmte auch Flores ein. Danach kam Sten leicht schwankend zu ihr herübergelaufen und nahm neben ihr Platz.
»Du hast ein Geschick für Worte, das mir abgeht«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Er war ein guter Freund.« Mit einem wehmütigen Lächeln hielt er den hölzernen Pokal hoch, und Flores stieß mit ihrem an, dann kippten sie den Wein hinunter.
»Weißt du, wie Nati dieses Gesöff nennen würde?«, fragte sie lachend.
Sten grinste: »Katzenpisse. Schmeckt so, und morgens hat man einen Kater!«
»Genau!«, lachte sie belustigt, als sie sich an ihr letztes Trinkgelage mit Natiole in Teremi erinnerte. »Er mochte nur dieses süße Gesöff.«
»Das hat ihn nicht daran gehindert, alles runterzuschütten, was er nur kriegen konnte«, warf Sten ein. »Einmal haben wir einen Frachtkahn abgefangen, der kam aus dem Osten, Turduj vielleicht. Da waren vier dicke, bauchige Fässer voll von schwerem Wein drauf, aus Kersakien.«
»Kersakien?«, fragte Flores mit gerunzelter Stirn. »Liegt das nicht in Dyrien?«
»Genau! In die Fässer haben wir Löcher gemacht, denn sie waren für Zorpad bestimmt«, erzählte Sten weiter und kicherte bei der Erinnerung. »Aber vorher haben wir unsere Schläuche mit dem Zeug gefüllt. Und dann kamen Reiter, und wir mussten in den Wald und hatten nichts außer Wein zu trinken. Schande, beinah hätten die uns erwischt, weil wir uns zu früh besoffen haben.«
»Ihr seid entkommen«, stellte Flores unnötigerweise fest, da ihr der Wein zu Kopf stieg und ihre Gedanken schwerfällig werden ließ.
»Ja. Nati hat einen mit dem Bogen vom Pferd geholt, und dann sind sie abgehauen. Er hat den Wein danach immer Zielwasser genannt und gesagt, mit Wein aus dem Imperium schießt man umso treffsicherer.«
Gemeinsam lachten sie bei der Erinnerung an die Späße ihres alten Freundes. Auch Sten hatte bereits reichlich getrunken; bald rief er nach Musik, und dann stimmten sie zum Klang der dreisaitigen Fideln und einem als Trommel dienenden Eimer die alten Weisen an. Gemeinsam sangen sie von den Bergen und Tälern ihrer Heimat, von den tiefen Wäldern und gurgelnden Wassern, von verwunschenen Weihern und magischen Höhlen. Viçinia trug die Ballade von Radu dem Heiligen und seinem Kampf um die Einheit der Wlachaken vor, die selbst Flores rührte. Es folgten ein paar rüde Trinklieder, an denen Natiole sicherlich seinen Spaß gehabt hätte und zu denen einige ausgelassen tanzten und umherhüpften. Selbst Flores verspürte ein Zucken in den Beinen, war aber noch nüchtern genug, um sich zu beherrschen. Nicht jedoch Sten, der mit Costin einen wilden Tanz vorführte, an dessen Ende die beiden Wlachaken prustend und lachend vornüberkippten und zwei halb volle Tonkrüge mit Wein umwarfen. Zu diesem Zeitpunkt war ein Großteil der Feiernden schon so betrunken, dass sie dem Geschehen kaum noch folgen konnten, und selbst Viçinia, die weniger als die meisten getrunken hatte, bekam einen Lachanfall beim Anblick von Sten und Costin, die versuchten, ihre Gliedmaßen zu ordnen und wieder auf die Beine zu kommen. Mehr stolpernd als gehend, gesellte sich Flores zu ihr und prostete ihr zu.
»Auf Nati.«
»Auf Nati, Flores, und auf seine Freunde!«
»Ja. Er wäre
Weitere Kostenlose Bücher