Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
wunderhübsche Braut, dass die Versammelten während der gesamten Zeremonie einzig Augen für sie hatten. Nur Luisas Augen ruhten auf jemand anderem. Sie vermutete, dass nicht einer der Dorftölpel Caspar und Clemens würde auseinander halten können. Wie aus demselben Holz saßen sie nebeneinander in gleicher Kleidung und Haltung: kerzengerade, stolz und ehrfurchtsvoll. Selbst Caspar hatte sich die Haare gekämmt und sie mit demselben schwarzen Samtband im Nacken zusammengebunden wie sein Bruder. Zudem fehlte sein Ohrring im linken Ohrläppchen. Sie waren nicht zu unterscheiden. Nur Luisa erkannte Caspar, weil sie ihn mit dem Herzen sah.
Nach der Zeremonie wurde im Garten Auf dem Sande gefeiert. Wer tanzen wollte, fegte zwischen den Obstbäumen dahin, wer nicht tanzte, sondern lieber plauderte, saß an einer der langen Tafeln. Luisas Vater machte seinen Höflichkeitsbesuch, nur um dem Paar zu gratulieren. Luisa tanzte mit Clemens, weil der sich in ihre nicht vorhandene Tanzkarte eintrug. Das amüsierte sie, aber sie wusste, dass Caspar eine schreckliche Eifersucht durchlitt.
Zwischen einem Walzer und einer Bauernquadrille nahm Caspar sie beiseite. Im Holzhaufenlabyrinth hielt er sie umschlungen und küsste sie.
Ein Räuspern brachte die beiden auseinander.
Luisas Herz machte einen entsetzlichen Hüpfer, während Caspar ihre Taille losließ und die Haarsträhnen bändigte, die seinem Zopf abhandengekommen waren.
Ludwig Treuentzien wiederholte sein Räuspern und reichte Caspar die Hand. „Gute Nacht, Herr Weber.“ Und zu Luisa gewandt sagte er: „Um neun bist du im Bett, junge Dame, keine Minute später.“ Luisa nickte, viel zu perplex, um irgendetwas zu sagen.
Damit wandte sich Ludwig Treuentzien um und Luisa starrte ihm hinterher. Und sie starrte Caspar hinterher, weil der dem Vater nachlief: „Herr Treuentzien, was ich Sie fragen wollte ...“ Luisa schritt hinterdrein, denn das, was folgen würde, wollte sie auf keinen Fall verpassen. Ihr Vater blieb stehen und lächelte Caspar an. Betrunken war er nicht, was sein Benehmen Caspar gegenüber begründet hätte. „Ich wollte Sie fragen ...“ Luisa schaute gespannt an ihrem Vater vorbei und erspähte Clemens, der neben seiner Mutter saß und mit Herrmann Tkadlec sprach. Er ließ Caspar, der mit dem Expediteur ins Gespräch kam, nicht aus den Augen. „Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir die Ehre erweisen, mich den Unterschulmeister zu Ihnen schicken zu lassen.“
Stille.
Luisa hielt den Atem an. Auf dem Gesicht des Vaters trat ein helles Lächeln. Dann klopfte er Caspar auf die Schulter. „Herr Weber, ich hab mich schon gefragt, wann Sie fragen.“ Er zog den Hut vor Caspar und Luisa begriff gar nichts. „Und sorgen Sie dafür, dass Luisa um neun in ihrem Bett liegt.“
Caspar grinste. „Selbstverständlich.“
Luisa fand sich in der Weberstube wieder, um nachzudenken. Sie setzte sich in die Webbank. Der Damast hielt sein Schläfchen unter einem Leinentüchlein. Sie lauschte den gedämpft ins Haus wehenden Stimmen und Musikfetzen und genoss die Heimlichkeit, von der sie hier umfangen war. Gelegentlich mischte sich die Kirchturmglocke ein. Als sie ihren Blick vom Leinengebirge vor sich hob, schaute sie Caspar geradewegs in die Augen. Er hatte im Türrahmen gelehnt, stieß sich nun ab und durchquerte die Stube. Er setzte sich neben sie und betrachtete ebenfalls eine Weile stumm das Leinentuch.
„Wollen wir’s fertig machen?“
Luisa begriff nicht gleich, was er meinte. Erst als er das schützende Leinentuch lüftete und den Webstuhl mit einer ausladenden Handbewegung von seiner Hülle befreite, verstand sie. Sein schelmisches liebes Lächeln. Sie wollte weinen vor Glück. „Ich frage mich, ob du den Meistertitel bekommst, wenn du’s zu Ende webst.“ Damit knuffte er sie in den Oberarm und kletterte wieder aus dem Webstuhl. Er stellte sich auf das Zieherpodest, nahm die Zugstange in die Hand und fischte einen Latz aus dem Fadenvorhang. Dann zog er das Schnurbündel mit dem Zugstock zu sich heran, und das Rauschen, das die Hörnerschnüre den Umlenkrollen hoch oben über dem Webstuhl entlockten, das Knarren, das die angezogenen Kettfäden und das kaum vernehmbare Bimmeln, das die an den Litzen angebrachten Zapfen von sich gaben, ließen Luisa schaudern. „Na, mach schon.“
Luisa machte sich daran, den äußersten linken Fußtritt so hinunterzudrücken, wie sie es von Caspar gelernt hatte. Sie hielt inne, nahm ihren Fuß vom Pedal, ließ die
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