Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Schäfte raschelnd in ihre Ausgangsposition zurückschwingen und schnürte ihre Stiefeletten los. Nur in Strümpfen trat sie nun erneut das schmale Fußpedal hinunter.
Caspar war ein geduldiger Musterzieher. Er beobachtete jeden ihrer vorsichtigen Handgriffe mit leuchtenden und aufmerksamen Augen. Luisa nahm die hammerähnliche Schussvorrichtung in die Hand. Die Schussspule lag im Schussschützen wie ein schlafendes Wickelkind in seiner Wiege. Vier Mal wurde die Festmusik von tosendem Rauschen, Klimpern und Krachen unterbrochen, bevor Caspar den nächsten Latz aus den Schnurbündeln herauszog. Die letzten Millimeter der oberen Würfelkante fügten sich einem Bindfädchen gleich in Caspars Meistertuch.
Die Kirchturmglocke schlug die neunte Nachtstunde, da war sein Meisterstück fertig. Schon morgen würde es abgebäumt, dem Türpe und den Altmeistern gebracht. Danach würde Luisa es nach Leipzig bringen. Fristgerecht. Sie war stolz.
„Und jetzt“, Caspar band um den zuletzt gezogenen Latz einen Hornring, schwang das Leinentuch wieder über den Damastwebstuhl und nahm Luisas Hand, „werd ich tun, was dein Vater gesagt hat!“ Er führte Luisa in seine Kammer, legte sie auf sein Bett, hakte die Ösen ihres Tanzkleides und schnürte ihr Korsett auf. Dann zog er selbst Wams, Binder und Hemd aus.
„Das hat mein Vater mit Sicherheit nicht gesagt“, flüsterte sie in sein Haar, während er ihr das Kleid von den Beinen streifte.
„Doch, er hat gesagt: Sorgen Sie dafür, dass Luisa um neun in ‚Ihrem‘ Bett liegt, also ...“
Sie lachte.
Er küsste sie.
Zwischen seinen Küssen murmelte sie: „Als du vor meinem Vater um meine Hand angehalten hast, glaubte er, du seiest Clemens.“
„Nicht mein Problem.“
Die Hochzeitsmusik schwappte mit dem Frühlingswind durch das geöffnete Fenster. Sie hatten kein Licht gemacht, damit niemand auf die Idee käme, in seiner Kammer nach ihnen zu suchen. Die Fackeln und Laternen im Hof gaben ein wenig von ihrem Licht ab, sodass Caspar Luisa beobachten konnte.
Er liebte ihr verschmitztes Lächeln in ihrem geschlossenen Mund, ihre geröteten Wangen. Er liebte ihr struppiges Haar, das wie bei Jungen an der Stirn kurz geschnitten war und so den Blick in ihre hellen Augen freigab.
Ihre leuchtenden, von schweißnassen Schläfen gerahmten Augen wanderten über sein Gesicht. Sie überlegte. Sie atmete noch immer schnell und flach, kraulte seinen Nacken, ihre andere Hand strich über seinen Rücken. Sie hielt ihn mit ihren Beinen umklammert und dachte über ihn nach. Ihre Augen fanden Halt, fixierten die seinen.
Er vergrub sein Gesicht in der Beuge zwischen ihrem Hals und ihrer Schulter. Als er ihr Flüstern vernahm: „Ich erwarte ein Kind“, ließ er seinen Kopf wieder hochschnellen. Eine kleine Weile war er sprachlos, forschte auf ihrem Gesicht. „Bist du sicher?“
Sie nickte. Sie war schwanger.
Er lächelte und küsste ihr Haar.
Sie glichen einander wie ein Ei dem anderen. Caspar kam sich vor wie eine Staffagepuppe, aber auf Elsbeths Plan war Verlass und Clemens spielte mit, weil er seiner Schwester an ihrem Hochzeitstag eine Freude machen wollte.
„Solltest du dich nicht um dein Hochzeitskleid kümmern?“, fragte Clemens genervt, während Elsbeth erst ihm, dann Caspar den schwarzen Binder anlegte. Elsbeth lief wie ein aufgescheuchtes Huhn in der Stube umher und kleidete ihre Brüder für den Kirchengang ein.
„Alles fertig. Nichts mehr, was man tun könnte. Also, Mutter? Wie sehen sie aus?“ Maria Weber schaute vom Wams auf, das sie für ihren Mann bürstete, und betrachtete ihre ältesten Söhne. Dann erhob sie sich und zupfte Caspars Binder gerade – war ja mal wieder typisch, dass es bei Clemens nichts zum Zupfen gab.
„Mmh. Die Schuhe, Elsbeth.“
„Tauscht die Schuhe!“ Caspar und Clemens schauten einander an. Dann gingen die Jungs in die Hocke und tauschten die Schuhe.
„Perfekt! Nicht mehr auseinanderzuhalten, meine zwei Brüder.“
„Der Ring“, murmelte die Mutter, ohne aufzublicken. Elsbeth schritt entschlossen auf Caspar zu und fummelte an seinem linken Ohr herum, dass es ziepte. „Den wirst du heut entbehren.“
„Und wozu das Ganze?“, wurde nun Clemens etwas griesgrämig.
Die Mutter antwortete an Elsbeths Stelle: „Weil Elsbeth immer schon ihren Spaß daran hatte, euch unvergleichlich gleich zu machen. Und nun, Elsbeth, bist du dran. In einer Stunde geht der Traugottesdienst los.“
Er hatte Luisa nach Hause gebracht,
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