Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
überstanden zu haben und ließ sich von Bettine in ihren leichten Sommerumhang helfen. Luisa hatte sich während des Dinners in eine aussichtslose Debatte über das Für und Wider von handgezogenem Damast verstrickt und sich blamiert, als sie zugab, mit Schmucktüchern an den Markt gehen zu wollen. Magnus Fernheim zitierte sich selbst aus einem seiner im Juni veröffentlichten Zeitungsartikel, in dem er sich der industriell gefertigten Ellenware verschrieb, und machte ihr unmissverständlich klar, dass Schmucksachen seit dem Klassizismus ihre Blütezeit hinter sich hätten. „Unlukrativ“ nannte er den Handel mit Schmucktüchern. Wie sehr er Luisa damit verletzte, war ihm freilich nicht bewusst.
Schmucktücher, so zitierte er sich selbst weiter, seien Launen, Eintagsfliegen, die selbst dann, wenn sie noch so vollendet schienen, eben doch nur die Sinne für einen kurzen Moment bannten. Nicht einmal der Kreis der Damen ließ sich von Luisa überzeugen, dass das Konterfei eines geliebten Menschen, gebunden in Atlas, eine wahre Bereicherung des Familienschatzes sei. Sie war wie eine Exotin erst bestaunt, dann belächelt worden. Einerseits, weil sie zugab, selbsttätig zu arbeiten, im Kontor und mit den Webern, andererseits weil sie mit so viel Leidenschaft vom Damastweberhandwerk sprach. Luisa wurde von Fernheim vorgeführt und das nahm sie ihm übel. Die gesamte Verwandtschaft schien er eingeladen zu haben, um die Frau, die arbeitete, zu bestaunen.
Jedenfalls war Luisa froh, jetzt der Versammlung an Ignoranz und Arroganz den Rücken kehren zu können.
Sie hatte noch nicht die Freitreppe vor dem Haus genommen, da wurde sie aufgehalten: „Verzeihen Sie mir bitte, Fräulein Luisa.“
Luisa gab Bettine den Auftrag, die Lohnkutsche aufzuhalten, denn was sie als Letztes wollte, war, in der nächtlichen Stadt ohne Kutsche dazustehen.
„Ich möchte es sehen.“
Luisa verstand kein Wort, das aus dem wohlgestalten Mund der Fernheim’schen Schwiegertochter kam, die den größten Teil des Abends mit verschwiegenen Beobachtungen zugebracht hatte.
„Das Schmucktuch, bei dessen Anblick einem der Atem wegbleibt.“ Die Fernheim-Schwiegertochter benutzte Luisas Worte und jetzt klang es tatsächlich albern, was Luisa vor der versammelten Fernheim’schen Familie gesagt hatte. In Luisas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Caspar. Der mächtigste all ihrer Gedanken galt ihm, dessen Arbeit nun endlich gewürdigt werden würde: von einer Frau zwar, aber immerhin.
Sie und Bettine brauchten eine kleine Ewigkeit zurück zum Hotel, weil sie Umwege in Kauf nehmen mussten. Arbeiter verbarrikadierten ganze Straßenzüge und so konnte die Kutsche nicht passieren. Luisa nutzte die Zeit und dachte in aller Ruhe darüber nach, was sie am nächsten Tag erwarten würde.
Sie würde der Dame das Tuch zeigen, aber sie durfte auf gar keinen Fall von einer Frau „Fernheim“ besucht werden, denn dieser Name würde vor ihrem Vater und ihrem Verleger nicht verborgen bleiben. Deshalb hatten sie und Frau Fernheim sich geeinigt, dass jene sich unter ihrem Mädchennamen, Pauline Keubler, anmelden lassen sollte. Pauline Keubler, ein Name, mit dem weder Luisas Vater noch Karl Gotthelf Haller etwas würden anzufangen wissen. Ein Frauenkränzchen, ganz und gar unbedarft und für die Herren uninteressant.
Im Salon, welcher Luisas Zimmer und das ihres Vaters verband, hatte Bettine für die beiden Damen Tee, Obst und Gebäck hergerichtet. Jetzt beobachtete Luisa mit aufgeregt klopfendem Herzen, wie sich ihre erste mögliche Kundin von Bettine das Tagestuch und die Strohschute abnehmen ließ. Alles musste richtig gemacht, nichts durfte übereilt werden. Zunächst wurden ein paar höfliche Floskeln getauscht: die schwierige abendliche Heimkehr; die vormittägliche Hitze, das Ungetüm von Stadt, die Schwüle und so weiter. Und dann, schließlich, ließ sich Pauline Fernheim das Schmucktuch zeigen.
Bettine räumte flink den Tisch ab, wischte ihn ab und polierte ihn blank, damit Luisa ihr Schmucktuch ausbreiten konnte. Caspars Tuch, das sie mit der Vorsicht einer Gralshüterin entrollte. Sie hielt den Atem an – und Frau Fernheim hielt den Atem an, während sie Luisas Ebenbild weiß in weiß, umrahmt von einer zierlichen Würfelkante, betrachtete.
„Sie hatten recht.“ Frau Fernheim schenkte Luisa einen verblüfften Blick. „Es ist atemberaubend.“ Und um die atemberaubende Wirkung des Tuches zu verdeutlichen, fächerte sie sich Luft zu. Dann ließ
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