Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Der Tonfall entbehrte mittlerweile jeder Ironie:
»Ihr seht alle aus wie Affen, wißt ihr das, ihr Pfeffersäcke!« rief er. »Wie Affen, die sich bunte Jäckchen und Höschen angezogen und lustig angemalt haben und ihre Wärter nachmachen. Du da! Ja du, du siehst aus wie der größte Affe, wie ein Gorilla siehst du aus! Dahinten im Garten habe ich einen schönen Busch für dich gesehen, wo du hinscheißen kannst! Dient auch hervorragend als Versteck bei der Paarung mit dem Affenweib von dem alten Trottel neben dir. Der Herr dieses Hauses aber ist ein gewitzter Pavian. Er macht sein Geld auf dem Rücken von toten Affen. Pfui Teufel! Würde mich nicht wundern, wenn er in der Nacht heimlich selbst auf Affenjagd ginge ...«
Echauffiertes Getuschel vermischt mit Lachern über den bösartigen Clown, ja sogar da-capo-Rufe von selbst Angetrunkenen wehten durch den Gang zu den Seichtems herüber. Ali steckte den Kopf um die Ecke und linste wie ein Spion in die Küche. Hardy, der nun wie ein bösartiger Buddha im Schneidersitz auf dem Tisch hockte, war inzwischen vom Glas zur Flasche übergegangen. Mit dieser in der Luft fuchtelnd, gab er seine Weisheiten zum besten. Die Baskenmütze hing ihm schief ins Gesicht, das rot angelaufen war und feist wie vor dem Auseinanderbersten wirkte. Die Leute um den Tisch herum studierten ihn mit einer Kombination von Abscheu und Amüsement.
Plötzlich erhaschte er Alis Blick. Es war erstaunlich, wie gut seine Reflexe noch funktionierten …
»Ja, dich meine ich, du Killer!« brüllte er durch den ganzen Raum. »Du hast dieses Haus auf Knochen aufgebaut! Das ist ein Totenhaus! Paß auf, daß die Toten dich nicht eines Nachts holen kommen. Dann nützt dir all der Ruhm und das Geld nichts mehr. Irgendwann fliegt der Schwindel hier auf, das sage ich euch, ihr Affen. Hey, du Killer, komm her und trink einen mit deinem alten Freund!«
Er brach erneut in schmutziges Gelächter aus.
Ali zog sich wieder zurück. Daß dieser Flegel schon in wenigen Jahren Selbstmord begehen würde, hielt er nun für eine wahrlich segensreiche Sache. Ida schaute ihn wie eine Mutter an, deren Habe- ich-es-dir-nicht-gleich-gesagt- Spruch sich für den Zögling wieder einmal auf schmerzhafte Weise bewahrheitet hatte.
»Was glaubst du, was ich dagegen unternehmen könnte, Ida? Was glaubst du wohl?« sagte Ali. Er ärgerte sich, weil er durch so etwas Blödes aus seiner tranceartigen Stimmung herausgerissen worden war.
»Du sollst dem ein Ende bereiten«, beharrte Ida.
»Dem wird schon die Flasche in seiner Hand ein Ende bereiten, glaub mir. Ich kenne ihn. Er ist jetzt auf dem Höhepunkt. Wenn die Flasche drei Finger breit leerer geworden ist, wird er müde werden. Dann verliert er an Originalität, vor allen Dingen aber an Stimmkraft. Und ein paar Schlückchen später hockt er auf einem Sessel und schnarcht.«
»Meinst du wirklich?«
Sie klang jetzt gnädiger. Offenkundig fand sie die Voraussage einleuchtend.
»Ja. Schau, es ist das letzte Mal, daß wir diesen Schwachkopf ertragen müssen. Wenn wir damals die Feier nicht schon Monate vorher angekündigt hätten, hätten wir ihn überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Ich werde ihn nämlich nicht mehr wiedertreffen, und ich habe die dunkle Ahnung, daß ihn auch sonst niemand wiedertreffen will. Also lassen wir es über uns ergehen. Es ist ein ekliger Abschied, ich weiß. Andererseits scheint er auch viele zu amüsieren. Er ist eine richtige Lachnummer.«
»Gib mir einen Kuß!« sagte sie.
Es traf ihn wie ein Blitz. Etwas funkelte in ihren Augen auf, das ihn an früher erinnerte, an viel früher, als sie sich gerade kennengelernt hatten, als sie noch jung und unschuldig gewesen waren. Auch das Gesicht erhielt plötzlich einen frischen Glanz, der jedoch keineswegs von der Verjüngung durch das Make-up herrührte, sondern von einem mystischen Strom aus alten Tagen. Für einen Moment, dem Moment der sentimentalen Musik und der Erleichterung darüber, daß sie sich wieder über ganz alltägliche Dinge streiten konnten, für diesen Moment waren sie wieder zwei Liebende. Ali und Ida küßten sich, und da, ganz flüchtig nur, durchflutete sie das Gefühl der Liebe mit ihrer ganzen Macht, warm und voller Hoffnung, und in beiden Köpfen tauchte die Vision einer Zukunft auf, irgendeiner Zukunft, konturlos zwar, aber verheißungsvoll, und sie wurden vom Glück überwältigt. Natürlich wußten sie insgeheim, daß es für sie keine Zukunft gab. Aber auch in dieser Wehmut
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