Die Tuer im Schott
Farnleighs, denn sie hatte bei dem alten und dem jungen Sir Dudley genug Einfluß, um Knowles seine Stellung als Butler zu verschaffen. – Nicht wahr, Knowles?«
Er blickte sich nach ihm um.
Von dem Augenblick an, in dem Dr. Fell Lady Farnleighs Namen genannt hatte, hatte er sich nicht mehr gerührt. Er war vierundsiebzig Jahre alt. Sein fast transparentes Gesicht, das sonst kein Gefühl verbarg, war nun vollkommen ausdruckslos. Er öffnete und schloß den Mund und nickte zur Antwort, doch er sprach kein Wort. Er schien zu keinem anderen Gefühl mehr fähig als zu schierem Entsetzen.
»Es ist denkbar«, fuhr Dr. Fell fort, »daß sie schon vor langem Bücher aus jener verschlossenen Bibliothek holte. Wann sie Anhänger für ihren Satanskult zu werben begann, hat Elliot nicht herausfinden können, aber es war etliche Jahre vor ihrer Heirat. Die Zahl von Männern in dieser Gegend, die ihre Liebhaber waren, würde Sie überraschen. Aber über die satanistischen Umtriebe können oder wollen sie nichts sagen. Und das ist ja letzten Endes das einzige, was uns angeht. Es ist das, was ihr am wichtigsten war, und der Grund für die Tragödie. Denn was geschah?
Der so lange und so romantisch verschollene ›John Farnleigh‹ kehrte zurück zum, wie es hieß, Besitz seiner Vorväter. Für kurze Zeit war Molly Sutton überglücklich. Ihr Held kehrte heim. Ihr großes Vorbild. Ihn zu heiraten war sie fest entschlossen – der Welt und eventuell ihm selbst zum Trotze. Und vor einem guten Jahr – einem Jahr und drei Monaten, um genau zu sein – wurde sie seine Frau.
Lieber Himmel, gab es je ein Paar, das schlechter zusammenpaßte?
Ich frage das in allem Ernst. Sie wissen, wen und was sie zu heiraten glaubte. Sie wissen auch, was für einen Ehemann sie statt dessen bekam. Sie können sich vorstellen, welch kalte Verachtung er insgeheim für sie empfand, mit welch eisiger Höflichkeit er sie behandelte, als er dahinterkam, wer sie wirklich war. Sie können sich vorstellen, was sie für ihn empfand, wie sie die brave Ehefrau spielen mußte und immer wußte, daß er sie durchschaute. Und beide taten ja aus Höflichkeit stets so, als wüßten sie nicht, was der andere weiß. Und so wie er alles über sie wußte, war sie ja gewiß auch binnen kurzem darauf gekommen, daß er nicht der echte John Farnleigh war. So teilte also jeder das Geheimnis des anderen in uneingestandenem Haß.
Warum hat er sie nie angeprangert? Nicht nur, daß sie etwas war, was er mit seiner puritanischen Seele in die tiefste Hölle wünschte. Nicht nur, daß er mit der Peitsche auf sie losgegangen wäre, wenn er es gewagt hätte. Zu alldem kam ja noch (und da sollten wir uns nichts vormachen, meine Herren), daß sie eine Verbrecherin war. Sie verleitete andere zu Drogen, die gefährlicher waren als Heroin und Kokain – und er wußte es. Indirekt war sie für den Tod von Victoria Daly verantwortlich – und er wußte es. Sie haben von seinen Wutausbrüchen gehört. Warum hat er sie also nie angeprangert, obwohl er sich gewiß danach sehnte?
Weil er es nicht konnte. Weil jeder von beiden das Geheimnis des anderen bewahrte. Er wußte zwar nicht, ob er wirklich nicht Sir John Farnleigh war – aber er befürchtete es. Er wußte nicht, ob sie beweisen könnte, daß er es nicht war, und es beweisen würde, sobald er sie herausforderte – aber er befürchtete es. Er war ja nicht ganz der feine Kerl, als den Miss Dane ihn uns beschrieben hat. Gewiß, er war nicht mit Absicht ein Betrüger. Er hatte tatsächlich die Erinnerung verloren und versuchte verzweifelt, sie wiederzufinden. Oft genug war er sich sicher, daß er wirklich der echte Farnleigh war. Aber es war nur natürlich, daß er das Schicksal nicht herausfordern wollte, es sei denn, es drängte ihn in eine Ecke, in der ihm nichts anderes übrigblieb. Denn es war nicht ausgeschlossen, daß auch er ein Verbrecher war.«
Nathaniel Burrows sprang auf.
»Das kann ich nicht hinnehmen!« rief er mit schriller Stimme. »Und ich werde es nicht hinnehmen! Inspektor, ich fordere Sie auf, verbieten Sie diese Unterstellungen. Der Mann hat nicht das Recht, unhaltbare Behauptungen über meine Klienten aufzustellen! Als Vertreter des Gesetzes ist es Ihre Aufgabe …«
»Besser, Sie setzen sich wieder hin, Sir«, sagte Elliot ruhig.
»Aber …«
»Setzen Sie sich, Sir.«
Madeline wandte sich an Dr. Fell.
»Etwas in dieser Art haben Sie ja schon früher am Abend gesagt«, knüpfte sie an.
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