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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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daß ein lautes Klatschen ertönte. »Dann haben wir ihn, den Schwager des Sargmachers!«
    Die Westerkerk mit ihrem hohen Glockenturm beherrschte diesen Teil der Prinsengracht, jetzt, in der Nacht, noch deutlicher als bei Tag. Selbst die großen Häuser der reichen Kaufleute, die sich in der Prinsengracht niedergelassen hatten, wirkten im Vergleich mit der Kirche wie kleine Kinder neben ihrem riesigen Vater. Es war, als duckten sie sich in den gewaltigen Schatten des Gotteshauses, ängstlich vielleicht, aber auch auf der Suche nach Geborgenheit. So jedenfalls schien es Jeremias Katoen, als er und seine Büttel hinter einer Gruppe von Ulmen hockten und die schräg gegenüber der Kirche liegende Sargmacherei beobachteten.
    Bisher hatten sie drei Nachtläuferinnen und vier Männer, die wie ehrbare Bürger aussahen, das ehemalige Lagerhaus betreten sehen. Womit sich die Worte der von Dekkert und Kampen befragten Dirne bestätigten. Auch wenn er es mit der Religion nicht so genau nahm, empfand Katoen doch das schändliche Treiben so nahe bei der Westerkerk als empörend. Es erschien ihm als Verhöhnung all dessen, woran die achtbaren Bürger Amsterdams glaubten, wonach sie strebten, wofür sie Tag um Tag ihrer ehrlichen Arbeit nachgingen.
    Andererseits – war die Westerkerk nicht ein geeigneter Ort für düstere Umtriebe? Schon zwei Jahre zuvor hatten sich hier schauerliche Dinge ereignet. Der junge Maler Cornelis Suythof hatte in der Kirche nach den sterblichen Überresten des früh verschiedenen Titus van Rijn, Sohn des Malers Rembrandt van Rijn, gegraben und nur die Knochen eines Tieres gefunden. Jetzt lag Titus tatsächlich in der Westerkerk begraben und dicht bei ihm sein Vater. Katoen selbst hatte für die Bestattung von Titus gesorgt, und er war auch einer der wenigen gewesen, die dem verarmten Rembrandt das letzte Geleit gegeben hatten. Die ganze dunkle Affäre um Rembrandt und die blauen Bilder ließ ihn noch immer schaudern, und eigentlich hatte er sich gewünscht, nie wieder in etwas ähnliches verstrickt zu werden. Jetzt mußte er fürchten, daß dieser Wunsch nicht in Erfüllung ging.
    Auch wenn vieles noch wie von dichtem Nebel verschleiert war, ahnte er, daß die Tulpenmorde einen nicht weniger gefährlichen, grauenerregenden Hintergrund hatten. Es war wie ein Alptraum, dessen Verlauf man nicht kennt, von dem man aber weiß, daß er böse enden wird.
    Ein starker Wind, der raschelnd durch die Kronen der Ulmen fuhr, ließ Joris Kampen frösteln. »Ich glaube nicht, daß noch mehr Freier kommen. Wir sollten zuschlagen.«
    Jan Dekkert grinste ihn herausfordernd an. »Wer hat dir das eingeflüstert, dein gesunder Menschenverstand oder deine klappernden Knochen? Du hättest ein dickeres Wams anziehen sollen.«
    Kampen rieb sich wärmend die Oberarme. »Kann ich ahnen, daß es in der Nacht so kalt wird? Schließlich haben wir Mai.«
    Dekkert wandte sich an Katoen. »Joris hat aber recht, Inspektor, wir könnten wirklich zuschlagen. In der Sargmacherei wird sich nicht viel mehr tun als jetzt.«
    Katoen beobachtete die großen, vergitterten Fenster des ehemaligen Lagerhauses. Nur ein schwacher Lichtschein drang nach draußen, zu unbedeutend, um von zufälligen Passanten wahrgenommen zu werden. Jaepke Dircks ging sehr vorsichtig zu Werke – falls er sich denn überhaupt in dem Haus aufhielt.
    »Ich hätte gern Gewißheit darüber, ob wir Dircks wirklich in der Sargmacherei antreffen«, sagte Katoen in demselben Flüsterton, in dem auch die beiden Büttel gesprochen hatten. »Bis jetzt haben wir ihn nicht gesehen, sondern nur den Mann, der die Tür geöffnet hat, diesen …«
    »Er heißt Cristoffel, aber alle nennen ihn Stoffel«, warf Dekkert ein. »Er arbeitet in der Werkstatt des Sargmachers. Vermutlich ist er es, der dem Kuppler und seinen Dirnen des Nachts Zugang zu dem Gebäude verschafft. Auch wenn Dircks nicht da ist, sollten wir diesem Treiben ein Ende bereiten.«
    »Aber wegen Dircks sind wir hier«, wandte Katoen ein. »Ein zweites Mal bietet sich uns diese Gelegenheit nicht.«
    Kampen deutete nach links. »Da, da kommt jemand!«
    Die Gestalt eines Mannes mit dunklem Umhang und tief in die Stirn gezogenem Hut trat in den Lichtkreis einer der Straßenlaternen. Es ging auf Mitternacht zu, und es war kaum noch jemand unterwegs. Katoens Vermutung, daß dieser Mann einem bestimmten Ziel ganz in der Nähe zustrebte, bestätigte sich, als er vor der Sargmacherei stehenblieb und den eisernen Türklopfer

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