Die Tunnel der Seele
Emotionen tief in ihrem Inneren verborgen.
»Sehr gut. Sie wird großartig werden«, antwortete Mason, der mit verquollenen Augen und zersaustem Haar in der Tür zu seinem Zimmer stand. »Wollen Sie reinkommen?«
Sie und Ephram hatten hier unzählige unvergessliche Nächte miteinander verbracht, und die Erinnerung an diese wunderbaren Stunden wurde mit den Jahren immer lebendiger. Dennoch hatte dieser Raum etwas Störendes an sich. Noch immer lag der Geruch von Sylva in der Luft, so als ob die Wände noch immer die Schandflecken der Sünde trugen, die Ephram hier begangen hatte. Sie konnte ihm vergeben, schon gut. Alle Frauen können vergeben, so funktionierte die Liebe nun einmal. Aber vergessen würde sie niemals. Selbst wenn Ephram sie tausend Jahre alt werden ließe.
Mason hielt die Tür auf und sie spähte an ihm vorbei zum Kamin, sah den Tau auf der Fensterbank trocknen, erblickte Ephrams lächelndes Gesicht an der Wand.
»Aber nur für einen Augenblick«, sagte sie. »Ich hab alle Hände voll zu tun mit den Vorbereitungen für die Party.«
»Party?«
»Die Bluemoon-Party zum zweiten Vollmond in diesem Monat. Das ist so etwas wie eine Tradition auf Korban Manor. Ihre Anwesenheit ist Pflicht.«
»Klar, ich kann mir die Zeit bestimmt nehmen.«
»Ich hoffe, Sie müssen nicht zu viel Zeit opfern. Ich weiß doch, dass Sie mit Ihrem Werk beschäftigt sind.«
»Weil Sie gerade von Werk reden. Wissen Sie irgendetwas über das Gemälde von Korban Manor, das unten im Keller steht?«
Ein Gefühl von Zorn breitete sich in Miss Mamie aus, verbrannte sie innerlich, ließ sie schmoren wie die Liebe ihres toten Ehemannes. In diesem Moment war es ihr vollkommen egal, ob Mason die lodernden Flammen in ihren Augen sehen konnte. Schließlich kam er sowieso nicht weg von hier. Er war hier genauso gefangen wie sie selbst.
Sie zwang sich zu lächeln, wie man es von einer guten Gastgeberin gewöhnt war. »Bestimmt stammt das von Meister Korban höchstpersönlich. Er war einmal ein begeisterter Maler.«
Die Wut öffnete in ihrem Herzen einen dunklen Tunnel, der die Verbindung zwischen ihr und Ephram war, über den er die Kontrolle über sie hatte. Aus dem Schlund des Tunnels blies ihr ein eisiger Wind entgegen, der ihr den Atem raubte und sie erstarren ließ. Ephrams Drohung und Ephrams Versprechen. Er brauchte ihre Angst genauso wie er die Gefühle der Anderen brauchte. Sie wünschte sich sehnlichst, ihre Liebe würde ihm reichen. Aber Liebe allein war niemals genug.
»Er war sehr talentiert.« Mason hatte den Sturm in ihrem Inneren bestimmt nicht bemerkt. Nach all den Jahrzehnten hatte sie sich gut im Griff.
»Eines der Dinge, die er am meisten bedauerte, war, dass er das Bild nie zu Ende gebracht hat«, sagte sie. »Dem letzten Werk eines Künstlers haftet immer etwas Melancholisches an, selbst wenn die Begabung des Künstlers durchschnittlich und vergänglich war. Man hofft doch immer, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, der auch nach dem Tod noch allgegenwärtig ist.«
»Das ist eben unsere Eitelkeit«, erwiderte Mason. »Und ich schätze mal, das ist es, was uns in den Wahnsinn treibt. Wir wissen einfach, dass wir niemals die absolute Perfektion erreichen werden.«
»Perfektion.« Miss Mamie musste das Gemälde nicht vor Augen haben, um sich daran zu erinnern. Wenn sie die Augen schloss, sah sie das Haus vor sich, die hell erleuchteten Fenster, die tief hängenden Wolken, den Witwensteg. Sie spürte den frischen Wind auf der Haut, der aus Nordwesten über die Landschaft hinwegfegte und die eisige Kälte aus der kanadischen Tundra mitbrachte. Geigenmusik erfüllte die Luft, aus den Schornsteinen stieg Rauch empor, am Himmel stand der Vollmond. Und Ephram rief seine Sklaven zu sich, holte seine Geister herbei und hetzte sie auf Rachel Faye Hartley.
Ephram mochte es nicht, wenn seine eigene Familie Geheimnisse vor ihm hatte. Rachel war geflohen, hatte sich vom Witwensteg in den Tod gestürzt. Hatte ihre Geheimnisse mit unter die Erde genommen, um dann gemeinsam mit ihnen wieder aus dem Grab empor zu steigen.
Qualvolle Schmerzen kochten in Miss Mamie hoch, brachten ihren Hass zum Lodern. Ephram und Sylva waren aufs Tiefste miteinander verbunden. Sein uneheliches Kind würde für immer und ewig den ersten Platz in seinem Herzen einnehmen, ganz gleich, welche Opfer Miss Mamie auch brachte. Egal wie tief ihre Zuneigung war. Und dieses Bild, das Ephram sein unvollendetes Werk nannte, würde sie unaufhörlich
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