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Die Ueberbuchte

Die Ueberbuchte

Titel: Die Ueberbuchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Rawolle
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damals reichliche fünf Jahre in unseren beiden Mansardenzimmern, die eigentlich unsere Kinderzimmer darstellten. Diese Frau also, hatte diese Kunst von ihrer Großmutter gelernt, die ehemals viele Jahre mit ihrer Familie in Japan und China gelebt hatte.«
    »Und weshalb haben diese Leute in Asien gelebt?«
    »Angeblich weil der Großvater ein Gelehrter war, der dort geforscht und gelehrt haben soll. Wogegen seine Frau, also die Großmutter dieser Flüchtlingsfrau, sich hauptsächlich mit künstlerischen Dingen betätigt haben soll. – Zumindest hatte mich damals, ich war gerade mal acht Jahre alt, ihre ausgesprochene Fingerfertigkeit in den unterschiedlichsten Dingen kolossal interessiert. Dieses Interesse wiederum war es auch, was diese Frau ungemein freute, so dass sie anfing mich im Zeichnen und Malen zu unterrichten. Erst viel später dann, ich war fast zehn, ging sie zum Scherenschnitt über. Leider aber war zu dieser Zeit der Nachkriegsjahre, kaum an geeignetes Material, sowie spezielles Handwerkszeug heranzukommen. Eines Tages dann, nachdem ihr wesentlich älterer und ewig kränkelnder Mann gestorben war, verkündete sie mir, dass sie sich entschlossen habe zu Bekannten nach Hamburg überzusiedeln. Ein Glück für mich, somit verzögerte sich ihre Abreise um mehrere Monate, was ich mit einem wahren Feuereifer zu nutzen versuchte. Es war schließlich meine letzte Chance, meine bisher erworbenen Kenntnisse weitestgehend zu vertiefen. Das wiederum stieß bei meiner Mutter auf den heftigsten Widerstand, denn sie mochte weder diese Frau, noch ihre Aktivitäten, da sie diese Art von Bemühungen für nutzlose Zeitverschwendung hielt – was ich aber mit all meinen kindlichen Erfindungsgeist zu umgehen versuchte. Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben nicht halb so viel gelogen, wie in diesem kurzen Zeitraum. – Wie dem auch sei, meine über alles geliebte und hochverehrte Privatlehrerin, bekam nun doch die ausgeschriebene Dozentenstelle in Hamburg. Auch wenn sie mich mit der Maßgabe: Hamburg liegt ja nicht am Ende der Welt! zu trösten versuchte, hatte ich inzwischen längst begriffen, dass das nur ein äußerst dürftiger Trost für mich darstellen konnte, da sich in Wirklichkeit unüberwindliche Welten zwischen uns auftaten. Doch wie alles Glück dieser Welt, sollte es nur kurze Zeit wehren – sie wurde krank, sehr krank, unheilbar krank, und verstarb nach wenigen Wochen. Noch heute verspür ich bei ihrem Gedenken, den tiefen, für ein so junges, empfindsames Geschöpf wie ich es war, gewaltsamen Schmerz. Sogar meine Mutter, die diese Frau aus verschiedenen Gründen nicht leiden mochte, akzeptierte schließlich mit leidlicher Nachsicht meinen Schmerz.« Sie seufzte. »Weißt du, Knut, wie sehr mich diese Jahre eigentlich geprägt haben, das habe ich erst sehr viel später, erst als erwachsener Mensch voll und ganz begriffen. Ohne diese wertvolle Kindheitserfahrung, wäre mein Leben mit Sicherheit ein ganzes Stück trostloser verlaufen.«
    »So ist das also«, bemerkte Knut. »Und wenn ich dich recht verstanden habe, dann willst du dort, wo alles angefangen, und auch geendet hat, wieder anknüpfen?«
    »Ja und nein.« Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Die Kindheit und Jugend ist der eine Teil, das Erwachsensein aber ein ganz anderer Teil. Beides gehört zwar zusammen, muss aber nicht …«
    Nach einer Weile des Schweigens, fragte Knut ganz unvermittelt: »Und das Verhältnis zu deinen Kindern?«
    »Ist ausgesprochen gut.« Sie lächelte, ein warmes, verschmitztes Lächeln. »Mit den Kindern bin ich am liebsten nach dem bewehrten Motto verfahren: Wer nicht erst hineinredet, braucht um Ausreden nicht verlegen zu sein. Sie sollen gefälligst ihre Fehler selbst machen und sie bitteschön auch selbst auslöffeln. Schließlich habe ich am eigenen Leib oft genug erfahren müssen, was es heißt, auf sich selbst angewiesen zu sein. Und manchmal denke ich, dass das der Grund ihres heutigen Vertrauens mir gegenüber ist.« Sie lehnte sich einen kurzen Augenblick mit geschlossenen Augen und weichen Gesichtsausdruck an seine Schulter. Aber gleich darauf mit festen Blick, wie entschuldigend ihn ansehend, wobei ihr Handrücken sanft seine Wange berührte, sagte sie erschreckend prosaisch: »Du bist nicht gut rasiert, mein Lieber …«
    Knut aber schien ihren Einwand nicht wahrgenommen zu haben, denn er sah sie nur unverwandt an, so dass sie mit hängenden Schultern kleinlaut klagte: »Bitte, Knut, sieh mich nicht so

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