Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
übrig, als ihn zu zerlegen. Während bei Männern das Motiv für die Zerstückelung meist die Unkenntlichmachung der Identität des Opfers und gelegentlich auch eine bizarre Vorliebe war, bestand es bei Frauen einfach in der Schwierigkeit des Transports. Verantwortlich dafür war die Spontaneität der Tötungshandlung. In Fukuoka hatte es einen Fall gegeben, bei dem eine Friseuse umgebracht und zerstückelt worden war. Der Täterin war nach der Tat aufgefallen, dass sie die Leiche nicht würde tragen können, also hatte sie sie zerlegt und in Einzelteilen fortgeschafft.
Außerdem ließen sich Frauen leicht aus Mitleid zur Beihilfe verleiten, wenn ihre Lebensumstände denen der Täterin glichen. Beispielsweise hatte eine Frau ihren alkoholsüchtigen, gewalttätigen Ehemann getötet und war dann weinend zu ihrer Mutter gelaufen. Diese hatte Mitleid mit ihrer Tochter – »Das musste ja so kommen, bei diesem Mann!« – und half ihr, die Leiche zu zerstückeln. In einem anderen Fall hatten zwei Freundinnen einen nichtsnutzigen Zuhältertyp, der die eine von beiden nicht in Ruhe gelassen hatte, mit vereinten Kräften erstochen, gemeinsam in kleine Teile zerlegt und in einen Fluss geworfen. Nachdem sie verhaftet worden waren, sollen die beiden mit unbekümmerten Gesichtern zu Protokoll gegeben haben, sie seien der Meinung, eine gute Tat vollbracht zu haben.
Frauen bereiteten täglich Mahlzeiten zu, da waren sie in weitaus stärkerem Maße als Männer an tierisches Fleisch und Blut gewöhnt. Sie konnten mit dem Messer umgehen und kannten sich mit der Abfallbeseitigung aus. Außerdem hatten sie oft Nerven wie Drahtseile, erst recht, wenn sie Kinder geboren hatten, denn dann waren sie Anfang und Ende des Lebens so nahe wie nur möglich gekommen. Meine eigene Frau, dachte Imai, ist das beste Beispiel dafür, und er meinte das durchaus nicht scherzhaft.
Einmal angenommen, Masako Katori, der er gerade eben einen
Besuch abgestattet hatte, hätte beim Entsorgen der Leiche geholfen.
Imai erinnerte sich an Masakos gefasstes, kluges Gesicht und ihr geräumiges Bad. Sie konnte Autofahren, und außerdem war es sehr verdächtig, dass Yayoi sie ausgerechnet an jenem Abend angerufen hatte.
Angenommen, Yayoi hätte ihren Mann umgebracht und dann Masako angerufen, um sie um Hilfe zu bitten. Masako wäre auf dem Weg zur Fabrik bei Yayoi vorbeigefahren und hätte die Leiche in ihrem Auto versteckt. Aber beide waren in jener Nacht ganz normal zur Arbeit erschienen, als sei nichts vorgefallen. Und wenn es nicht allein Masako war, die Yayoi geholfen hatte? Doch die beiden anderen, die allem Anschein nach mit ihnen befreundet waren, Yoshië Azuma und Kuniko Jōnouchi, waren ebenfalls wie gewöhnlich zur Arbeit gekommen. Das wäre des Guten zu viel – zu verwegen, zu durchdacht. Imai kam der Punkt »Spontanität« aus den Analysen zu Mordfällen mit zerstückelter Leiche in den Sinn, bei denen Frauen beteiligt gewesen waren, und er neigte nachdenklich den Kopf.
Yayoi hatte ausgesagt, sie sei am nächsten Morgen nach Hause gegangen und den ganzen Tag dort geblieben. Das hatte sich durch Befragungen in der Nachbarschaft bestätigen lassen. Daher war eine Beteiligung Yayois an der Zerlegung der Leiche ihres Mannes schwer vorstellbar. Aber konnte denn Masako die Leiche von Yayois Ehemann mit nach Hause genommen und alleine oder mit Hilfe der anderen beiden zerstückelt haben? Während Yayoi, die Mörderin, gemütlich zu Hause herumsaß? Welche Veranlassung sollten Masako und die anderen gehabt haben, so etwas für Yayoi zu tun? Sie konnten doch kaum einen ähnlich starken Hass auf Yayois Ehemann entwickelt haben? Nein, das war alles zu weit hergeholt, einfach undenkbar, dass die vernünftige Masako ein solches Risiko in Kauf nehmen würde.
Außerdem war »Frauensolidarität« im Fall von Yayoi und Masako eher unwahrscheinlich. Dazu waren ihre Lebensumstände zu verschieden. Das fing schon bei Alter und Milieu an. Yayoi war jung, hatte noch kleine Kinder und lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen. Masakos wirtschaftliche Lage dagegen wirkte zwar nicht gerade üppig, aber stabil, so dass Imai sich fragte, warum sie
überhaupt Nachtschicht machte. Ihr Mann war bei einem verhältnismäßig krisensicheren Unternehmen angestellt, und sie wohnten in einem neu gebauten, frei stehenden Einfamilienhaus. Imai, der mit seinen vielen Kindern immer noch in einer engen Dienstwohnung lebte, beneidete sie darum. Der Sohn schien Probleme zu machen, aber
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