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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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wollte und wollte nicht kommen.
    Masako holte sich eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und trank sie in einem Zug leer. So aufgedreht war sie nicht mehr gewesen, seit sie in der Firma aufgehört hatte. Sie legte sich wieder hin, doch im Sommer, so kurz vor der Abenddämmerung, war es stickig schwül im Schlafzimmer, und sie warf sich nur im Bett hin und her.

    Sie hatte nur für ein paar Stündchen die Augen zumachen wollen, doch als sie wach wurde, strich feuchte Nachtluft durchs offen stehende Fenster herein. Sie schaute auf die Armbanduhr an ihrem Handgelenk – es war acht – und stand auf. Obwohl es kühler geworden war, war ihr T-Shirt nass von Schweiß. Sie hatte schlecht geträumt, aber wovon genau wusste sie nicht mehr.
    Sie hörte, wie jemand die Haustür aufschloss. Yoshiki oder Nobuki. Sie war nicht dazu gekommen, etwas zum Abendessen vorzubereiten. Schlaftrunken schlich Masako ins Wohnzimmer.
    Nobuki saß am Esstisch und aß ein Lunchpaket aus dem 24-Stunden-Laden. Er musste schon einmal zu Hause gewesen sein, hatte wohl gesehen, dass nichts zu essen da war, und war noch einmal losgegangen, um sich etwas zu besorgen. Er blieb stumm, als Masako an den Tisch trat, nur seine Miene verhärtete sich. Doch dann blickte er erschrocken in die Leere hinter Masakos Rücken, als könne er spüren, dass die Atmosphäre sich irgendwie verändert hatte. Als Masako ihn so sah, erinnerte sie sich wieder daran, was für ein empfindsames Kind er gewesen war.
    »Hast du auch für mich was mitgebracht?«, sprach sie ihn an, doch Nobuki senkte den Blick auf das Lunchpaket und setzte seine verstockte Miene auf, so als müsse er sich verteidigen. Was gab es da zu schützen, gegen was oder wen wollte er sich denn noch wehren? Seine Mutter jedenfalls hatte ihre Fürsorge für ihn längst über Bord geworfen!
    »Schmeckt’s?«
    Nobuki antwortete nicht, sondern legte die Wegwerfstäbchen hin und starrte auf sein angefangenes Lunchpaket. Masako nahm den Plastikdeckel, an dem Reiskörner klebten, und schaute auf das Etikett: »Miki Foods, Higashi-Yamato-Fabrik, Auslieferung: 15:00 Uhr«. Ob es Zufall war oder Nobukis Absicht, es handelte sich jedenfalls zweifellos um einen »Theaterpausen-Lunch« aus ihrer Fabrik, das die Tagschicht abgepackt hatte. Das gab ihr einen Stich, und Masako schaute sich in ihrem ordentlich aufgeräumten Wohnzimmer um. Es kam ihr wie ein einziger Schwindel vor, was sie tagsüber unter diesem Dach angerichtet haben sollte. Nobuki nahm die Stäbchen wieder in die Hand und aß still weiter.
    Masako setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und schaute ihrem stummen Sohn gedankenverloren beim Essen zu. Wieder
beschlich sie das Gefühl, das sie heute schon Kuniko gegenüber gehabt hatte. Sie erinnerte sich an die fast barbarische Lust, reinen Tisch zu machen unter ihren zwischenmenschlichen Beziehungen, und begriff, dass sie hier einen Fall vor sich hatte, bei dem sie absolut machtlos war: An dieser Beziehung ließ sich nichts ändern, auch wenn sie es noch so wollte. Hilflose Ohnmacht befiel sie.
    Masako stand auf und ging ins Badezimmer, das im Dunkeln lag. Sie machte Licht, und das Bad, das sie von oben bis unten mit Scheuerpulver abgeschrubbt und gewienert hatte, erstrahlte augenblicklich in reinstem, trockenen Glanz. Sie ließ Wasser in die Wanne einlaufen.
    Während sie vom Vorraum aus zuschaute, wie sich die Wanne langsam füllte, zog sie sich aus, stieg dann die kleine Stufe zum Waschplatz hinunter und duschte sich im Stehen. Sie erinnerte sich wieder daran, wie sehr sie sich gestern Nacht auf der Fabriktoilette gewünscht hatte, Kazuo Miyamoris Spuren augenblicklich von ihrem Körper tilgen zu können. Seither hatte sie bis zum Knöchel in Kenjis Blut gestanden, seine Haut-, Fleisch- und Knochenzellen hatten sich beim Zerstückeln unter ihren Fingernägeln festgesetzt. Trotzdem waren es immer noch Kazuo Miyamoris Spuren, die sie sich jetzt hier unter der Dusche abwaschen wollte. Sie ließ sich noch einmal Yoshiës Worte von der prinzipiellen Gleichheit lebender und toter Menschen durch den Kopf gehen und nickte, während ihr das Wasser auf den Körper prasselte. Eine Leiche fühlte sich widerlich an, aber sie bewegte sich nicht. Der lebendige Kazuo dagegen hatte sie bedrängen, auf sie einwirken können. Ja, die Lebenden störten sie weitaus mehr.
     
    Zwei Stunden früher als gewöhnlich verließ Masako das Haus und ging zum Wagen, in dessen Kofferraum die Beutel mit Kenjis Kopf und seinen

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