Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
verschiedenen Körperteilen verstaut waren. Yoshiki war noch nicht nach Hause gekommen. Masako war froh darüber. Vielleicht, weil sie so noch vermeiden konnte, für ihn die gleichen Gefühle zu entwickeln wie gegenüber Kuniko, denn er gehörte zu jenen Beziehungen, an denen sich etwas ändern ließ.
Sie fuhr Richtung Tōkyō-Zentrum auf den nächtlichen Shin-Oume-Highway auf. Auf der Spur Richtung Stadtmitte war wenig
los, aber Masako hatte es nicht eilig. Beim Fahren schaute sie sich rechts und links die Umgebung an und verbannte alle Gedanken an den Beginn der Nachtschicht und den Inhalt ihres Kofferraums aus dem Kopf, denn sie wollte herausfinden, wie die altvertraute Umgebung nun auf sie wirken würde.
Sie überquerte die große Überführung, unter der links die Kläranlage lag. Von der Brückenspitze aus sah sie in weiter Ferne die Lichter des Riesenrads im Seibu-Vergnügungspark, die wie der Umriss einer gigantischen Münze am Nachthimmel glitzerten. Sie hatte diesen Anblick schon ganz vergessen. Als Nobuki klein war, waren sie mit ihm dort gewesen und mit dem Riesenrad gefahren, aber das war lange, lange her. Genau wie ihr Sohn, der sich längst in einen erwachsenen Mann verwandelt hatte und ihr fremd geworden war, hatte nun auch sie selbst ihre Grenzen überschritten und würde sich verändern.
Rechts säumte die Betonmauer des Friedhofs von Kodaira-City eine Weile die Straße. Als der Golf-Übungsplatz in Sicht kam, der wie ein riesiger Vogelkäfig aussah, bog Masako rechts ab, nach Tanashi-City hinein. Nachdem sie ein Wohngebiet inmitten von Feldern passiert hatte, fuhr sie direkt auf ein großes Apartmenthaus zu.
In Tanashi war die Firma gewesen, in der sie früher gearbeitet hatte, deshalb kannte Masako sich hier aus. Sie wusste noch, dass das Apartmenthaus viele Wohneinheiten, eine schlechte Verwaltung und im Hof einen Müllabstellplatz hatte, den man jederzeit ohne weiteres betreten konnte. Sie parkte ihren Wagen direkt daneben, stieg aus und nahm fünf Beutel aus ihrem Kofferraum. Es standen mehrere große blaue Mülltonnen dort, die durch Schilder mit der Aufschrift »brennbarer Müll« oder »unbrennbarer Müll« gekennzeichnet waren. Beide Containersorten waren fast voll, drinnen herrschte ein heilloses Durcheinander aus Abfallbeuteln, Papierfetzen und dergleichen. Sie teilte den Müllberg in einem der Container und stopfte ihre Beutel tief nach unten hinein. Kenjis Körperteile waren nun nicht mehr von dem brennbaren Hausmüll der Mietparteien zu unterscheiden.
Danach fuhr sie jedes große Apartmenthaus an, das sie entdeckte, suchte den Müllabstellplatz, prüfte, ob man problemlos hineinkonnte, und ließ dort unauffällig ein paar Beutel oder Kleidungsstücke
verschwinden. Sie fuhr gemächlich durch unbekannte nächtliche Wohnstraßen, und mischte an jeder einsamen Müllsammelstelle, die sie finden konnte, einige ihrer Beutel unter die schon dort stehenden. Somit war Kenjis Körper nicht nur zerstückelt worden, sondern bald auch sang- und klanglos an verschiedenen Stellen entsorgt. Übrig blieben nur noch sein Kopf und die paar Habseligkeiten aus seiner Hosentasche.
Wenn sie nicht zu spät kommen wollte, wurde es langsam Zeit, zur Fabrik zu fahren. Je mehr sich ihr Kofferraum leerte, desto leichter wurde ihr ums Herz. Der Gedanke, wie Yoshië, die ja kein Auto besaß, ihren Anteil wohl verschwinden lassen würde, machte Masako ein wenig unruhig, aber bei der kleinen Menge würde sie es schon irgendwie schaffen. Außerdem: Auf Yoshië war Verlass. Das Problem war Kuniko. Wie leichtfertig von mir, dieser unzuverlässigen Person fünfzehn Beutel anzuvertrauen! Masako bereute das jetzt und nahm sich vor, sie ihr wieder abzunehmen und selbst zu entsorgen, falls Kuniko das noch nicht erledigt hatte.
Masako fuhr in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war, und hatte nach gut dreißig Minuten den Parkplatz der Fabrik erreicht. Kuniko war noch nicht da. Sie blieb eine Weile im Auto sitzen und wartete, doch das auffällige grüne Golf Cabriolet erschien nicht. Vielleicht hatten die heutigen Ereignisse sie so sehr geschockt, dass sie zu Hause geblieben war. Masako ärgerte sich, besann sich dann aber darauf, dass es nicht viel ausmachte, wenn Kuniko heute die Schicht schwänzte.
Die Luft war ziemlich trocken für Juli, fiel ihr auf, als sie aus dem Wagen stieg. Im Vergleich zum Morgen sogar deutlich kälter. Unverkennbar stieg ihr jetzt auch wieder der Geruch nach Frittiertem in die
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