Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
selbst auferlegte Prüfung diesem Feuer jetzt auch noch Nahrung zuführte, packte ihn das blanke Entsetzen, doch er konnte den Brand einfach nicht mehr löschen.
Mittlerweile befand sich Kazuo auf dem dunklen Weg vom Wohnheim zur Fabrik. Neben ihm tauchten die geschlossene Bowlingbahn und die stillgelegte Fabrik auf, alles war einsam und verlassen. Hier konnte er warten, dann würden vielleicht noch ein, zwei Hausfrauen vorbeikommen, die zur Nachtschicht mussten, überlegte er. Die meisten von ihnen waren mindestens so alt wie seine Mutter, wenn nicht älter, das wusste er, aber es war ihm egal. Anscheinend war es ohnehin schon zu spät, denn es kam niemand mehr.
Gott sei Dank, dachte er erleichtert, doch gleichzeitig schüttelte ihn der wilde Unmut eines Jägers, der vergebens auf Beute wartet. Mit diesen komplizierten Gefühlen starrte Kazuo auf den dunklen Weg, als plötzlich diese Frau aus der Dunkelheit auftauchte und mit eiligen Schritten näher kam.
Sie schien völlig in Gedanken versunken, denn selbst, als er auf sie zuging, um sie anzusprechen, bemerkte sie ihn nicht. Deshalb packte er sie kurzerhand am Arm. Reflexartig schüttelte sie ihn
ab, doch trotz der Dunkelheit sah er Angst in ihren Augen aufblitzen, und Kazuo zog sie weiter ins Gebüsch hinein.
Ob er lügen würde, wenn er behauptete, dass er nicht den Hauch von Lust verspürt hatte, sie zu vergewaltigen? Kazuo hatte nichts weiter gewollt, als von einer Frau zärtlich in den Arm genommen zu werden. Er hatte nur einmal ihren weichen Körper, ihre zarte Haut mit seinen Händen berühren wollen. Und doch hätte er sie am liebsten brutal niedergeworfen, als er ihren Widerstand spürte.
Die Frau kannte sein Gesicht und sagte kalt: »Sie sind Miyamori, nicht?«
Augenblicklich überfiel ihn Angst. Er sah genauer hin und bemerkte, dass er sie ebenfalls kannte. Es war die große Frau, die immer mit der Hübschen zusammen war und fast nie lachte. Beim Anblick ihrer Gesichtszüge hatte er sich immer gedacht, dass sie vielleicht auch eine schwere Prüfung auszuhalten hatte, genau wie er. Ausgerechnet diese Frau! Kazuos Angst wurde von starker Reue verdrängt, da ihm klar wurde, dass er im Begriff stand, ein Verbrechen zu begehen.
Als sie ihm dann plötzlich sagte: »Wir können uns ein anderes Mal treffen, nur wir beide!«, hatte er sich an dieses Versprechen geklammert. Für einen Augenblick hatte er wirklich große Lust bekommen, mit dieser viel älteren Frau zu schlafen, so viel stand fest. Doch bald hatte er begriffen, dass die Frau das nur so gesagt hatte, um sich aus ihrer Lage zu befreien, und sofort war rabenschwarzer Zorn in ihm aufgestiegen.
Er war doch nur traurig und einsam, konnte sie das denn nicht verstehen? Er wollte sie doch nicht vergewaltigen! Er wollte doch nur ein bisschen Zärtlichkeit, wieso konnte sie ihm das denn nicht zugestehen? Ohne zu wissen, wie er mit diesem reißenden Strom der Gefühle umgehen sollte, hatte Kazuo die Frau gegen das Tor gedrückt und ihr einen Kuss aufgezwungen.
Jetzt schämte er sich dafür.
Bei der bloßen Erinnerung daran schlug Kazuo die Hände vors Gesicht, weil er die Schande kaum ertragen konnte. Denn das, was danach passierte, war ihm fast noch peinlicher.
Nachdem die Frau ihn abgeschüttelt hatte und davongelaufen war, befürchtete Kazuo, dass sie ihn bei der Firmenleitung und
der Polizei anzeigen würde. Denn er hatte sich plötzlich wieder an die Gerüchte um einen Grabscher erinnert, die seit einer Weile im Umlauf waren. Selbst unter den brasilianischen Arbeitern wurde viel über den Sittenstrolch debattiert, der in letzter Zeit die Gegend um die Fabrik unsicher machte. Einige redeten sogar nur noch davon, wenn sie zusammensaßen: ob es sich vielleicht um nichts weiter als um eine böswillige Verleumdung handelte, oder wer sich denn wohl verdächtig benähme, und so weiter. Jedenfalls war er sicher nicht der Täter, das musste er dieser Frau unbedingt klar machen, und er musste sie um Verzeihung bitten.
Unruhig lief er die ganze Nacht in der Gegend herum und wartete auf den nächsten Morgen. Es fing zu regnen an, in trüben, feinen japanischen Regenfäden, die Kazuo so hasste. Er holte seinen einzigen Schirm aus dem Zimmer und wartete vor dem Eingang der Fabrik auf die Frau. Doch als sie dann endlich erschien, behandelte sie ihn furchtbar kalt und abweisend, obwohl er mittlerweile vom Warten schon völlig durchnässt war. Nicht nur, dass sie keinerlei Anstalten machte, seine Entschuldigung
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