Die Un-Heilige Schrift
versucht, diese Sichtweise mit einem klassisch österreichischen „No na net“ (auf Hochdeutsch: wie auch sonst?) abzutun. Was sonst hätte der Jude Jesus denn tun sollen? Nicht so die katholischen Fundamentalisten: Da wagt doch einer zwischen den Zeilen anzudeuten, Jesus könne ein irdisches, ja jüdisches Erbe in seine Ideen integriert haben! Na aber so geht’s natürlich nicht. Hinaus aus unserem Kreis mit dem Schuft.
Zurück zu den Funden von Nag Hammadi. Neben dem Thomasevangelium, dem meistdiskutierten und bestuntersuchten Text aus dem Fundus von Nag Hammadi, enthalten die erhaltenen zwölf Codices noch an die 50 weiteren Schriften. Aus der riesigen Textmenge dieser „alternativen“ Bibel für Individualisten sei an dieser Stelle noch ein weiteres Evangelium hervorgehoben:
Das Evangelium nach Philippus
Das Philippusevangelium (EvPh) ist in vielerlei Hinsicht eine skurrile Erscheinung. Das fängt damit an, dass es ausschließlich aus dem Nag-Hammadi-Fund bekannt ist. Zwar findet sich beim frühen Kirchenschriftsteller Epiphanius ein Zitat aus einem Philippusevangelium, diesen Wortlaut sucht man jedoch im Nag-Hammadi-EvPh vergebens. Andere existierende Hinweise auf ein Philippusevangelium, etwa in der Pistis Sophia, einer weiteren Nag-Hammadi-Schrift, oder in kirchenhistorischen Werken, die auf den Gebrauch eines dem Apostel Philipp zugeschriebenen Evangeliums bei den Manichäern verweisen, helfen bei der Einreihung des Textes nicht, weil nicht geklärt werden kann, ob damit das vorliegende EvPh aus Nag Hammadi gemeint ist oder ein ganz anderes, das nie gefunden werden konnte.
Die Bezeichnung Philippusevangelium ist irreführend: Nirgends wird behauptet, dieser Apostel habe den Text verfasst. Philippus wird lediglich als einziger Apostel namentlich erwähnt. Auch kann kaum von einem Evangelium die Rede sein: Das EvPh ist eine Spruchsammlung und insofern dem EvTh vergleichbar; allerdings kommt Jesus erklärtermaßen in 127 Sprüchen nur achtmal selbst zu Wort, neunmal finden sich mit Jesus assoziierbare Inhalte, die Entsprechungen in den kanonischen Evangelien haben.
Obwohl der Verfasser sich als Christ versteht, sind die Inhalte überwiegend rätselhaft oder schlicht unverständlich. Je nach Geschmack üben enigmatische Sätze einen unwiderstehlichen Reiz aus, hinter ihr Geheimnis zu dringen, oder eher ein Gefühl von Ärger ob der Unfähigkeit des Autors, sich so auszudrücken, dass ihm zu folgen ist.
Urteile über Aussagen wie die folgenden können jedenfalls nur dem Leser oder der Leserin überlassen werden:
Spruch 3: Diejenigen, die Totes erben, sind selbst tot und erben Totes. Diejenigen, die das Lebendige erben, sind lebendig und erben das Lebendige und das Tote. Die Toten erben nichts. Denn wie sollte der Tote erben? Wenn der Tote das Lebendige erbt, wird er nicht sterben, sondern der Tote wird umso mehr leben. (Lüdemann, Janßen, S. 79)
Spruch 24: Auf dieser Welt sind die, die die Kleider anziehen, wertvoller als die Kleider. Im Reich der Himmel sind die Kleider wertvoller als die, die sie (sich) angezogen haben. (Ebd., S. 81)
Spruch 57: Der Herr sagte: „Gesegnet ist der, der existiert, bevor er entstand. Denn der, der existiert, war und wird sein.“ (S. 84)
Aus heutiger Sicht ist die Entscheidung der entstehenden Großkirche, diesen Text außen vor zu lassen, jedenfalls sehr gut zu verstehen. Obwohl das „Evangelium“ sich in einzelnen Punkten, dem Gnosis-Vorwurf zum Trotz, genau auf Linie befand:
Spruch 46: Wer den Herrn nicht empfangen hat, ist noch ein Hebräer. (S. 83)
An anderen Stellen will sich nicht so recht erschließen, was genau gemeint ist:
Spruch 17: Manche sagten: „Maria ist vom heiligen Geist geschwängert worden.“ Sie sind im Irrtum und wissen nicht, was sie reden. Wann ist je eine Frau von einer Frau schwanger geworden? Maria, die Jungfrau, befleckte keine Macht. (…) die Mächte befleckten sich selbst. (Klartext jedoch der Folgesatz, mit dem Jesus ganz und gar menschliche Herkunft bestätigt wird:)
Und der Herr hätte nicht gesagt: „Mein Vater, der im Himmel ist“, wenn er nicht noch einen anderen Vater gehabt hätte, sondern er hätte einfach gesagt: „Mein Vater!“ (S. 81)
Dazwischen finden sich Perlen der Weisheit wie der folgende Spruch 45:
Der Glaube empfängt, die Liebe gibt. Niemand wird ohne den Glauben empfangen können. Niemand wird ohne Liebe geben können. Daher, damit wir nun empfangen, glauben wir. Damit wir lieben, geben wir. Denn wenn
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