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Die Un-Heilige Schrift

Die Un-Heilige Schrift

Titel: Die Un-Heilige Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmuth Santler
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jemand nicht aus Liebe gibt, hat er keinen Nutzen von dem, was er gegeben hat. (S. 83)
    Warum man am Philippusevangelium in der Beschäftigung mit apokryphen Schriften aller Ungereimtheiten zum Trotz nicht vorbeikommt, liegt an
    Maria Magdalena, Gefährtin des Herrn
    Spruch 32: Drei waren auf allen Wegen mit dem Herrn: die Mutter Maria, ihre Schwester und Magdalena, die seine Gefährtin genannt wird. Alle drei hießen Maria: Seine Mutter, seine Schwester und seine Gefährtin.

    Christus und Maria Magdalena. Peter Paul Rubens, 1618
    Spruch 55: Maria Magdalena ist die Gefährtin des Herrn; er liebte sie mehr als alle anderen Jünger und küsste sie (oftmals) auf ihren (Mund).
Die anderen Jünger störte das und sie fragten: „Weshalb liebst du sie mehr als uns?“ Der Erlöser antwortete: „Weshalb liebe ich euch nicht so wie sie?“
    Ob das Folgende als Antwort zu verstehen ist oder Jesus nur eine rhetorische Frage gestellt hat und Spruch 56 zufällig unmittelbar an dieser Stelle im Text angeführt wird, mag jeder für sich beantworten; im englischen Sprachraum wird zumeist ein Zusammenhang angenommen, im deutschen eher nicht. Der Spruch lautet jedenfalls:
    Sind ein Blinder und ein Sehender gemeinsam im Finstern, lassen sie sich nicht voneinander unterscheiden. Kommt aber das Licht, wird der Sehende sehen, der Blinde aber in Dunkelheit verharren.
    Maria Magdalena war also die Lieblingsjüngerin Jesu – und nicht Johannes, wie es im Johannesevangelium behauptet wird, oder der dort bei der Auferstehungsszene erwähnte namenlose andere „Jünger, den Jesus lieb hatte“.
    Diese Zitate wurden im Zusammenhang mit der im Philippusevangelium präsentierten Darstellung der Ehe als sakralem Mysterium herangezogen, um Jesus und Maria zu verheiraten.
    Freilich ist das so nirgends erwähnt; wir wissen nicht einmal mit Sicherheit, wohin Jesus Maria küsste – der Mund ist lediglich eine wahrscheinliche Annahme (und steht deshalb im obigen Zitat in Klammern). Das Küssen auf den Mund ist im Übrigen eine Sache für sich: Im Spruch 31 ist von der geistigen Ernährung die Rede, die, und zwar offenbar in beiden Richtungen, natürlich durch den Mund erfolgt und zur Vollkommenheit führt. Vollkommenheit wird durch einen Kuss erlangt und gegeben. „Deswegen küssen auch wir einander. Wir empfangen die Schwangerschaft durch die Gnade, die unter uns ist.“ (S. 82) „Schwangerschaft“ ist hier natürlich wie in der Phrase „mit einer Idee schwanger gehen“ zu verstehen.
Das Philippusevangelium gibt auf die "Ehefrage" keine Antwort.
    Der Schluss, Maria Magdalena sei mit Jesus verheiratet gewesen, ist aus dieser Schrift nicht zu ziehen. Dass der Messias seine Gefährtin aber den anderen Jüngern vorgezogen hätte bzw. die Jünger mit galligem Neid auf diese intime Verbindung blickten, ist keinesfalls ohne Parallele: Davon war z. B. auch im Thomasevangelium die Rede, in dem Spruch, in dem sich Simon Petrus als Frauenhasser outet (Schlusslogion Nr. 144).
    Interessant der Spruch 32, zitiert am Anfang dieses Abschnitts: Darin ist ja von drei Marias die Rede, die in einem besonderen Naheverhältnis zu Jesus stehen sollen. Die Formulierung (oder die Übersetzung der Übersetzung der Übersetzung) ist leider missglückt, denn so wie es geschrieben steht, lässt sich nicht entscheiden, ob die Schwester der Mutter Maria oder die Schwester Jesu gemeint ist. Die Wahrscheinlichkeit spricht für eine Schwester Jesu, denn dass die Eltern der Mutter Maria zwei ihrer Töchter mit dem gleichen Namen bedacht haben sollen, erscheint eher widersinnig. Der eigenen Tochter den Namen der Mutter zu geben ist hingegen seit jeher gängige Praxis. Andererseits sind uns die Familienverhältnisse natürlich heute nicht mehr erschließbar – eine Tante Jesu könnte durchaus von seiner Mutter Maria als „Schwester“ bezeichnet worden sein, obwohl sie genau genommen die leibliche Schwester ihres Mannes gewesen ist, in heutiger Terminologie also ihre Schwägerin.
Jesus hatte Brüder und Schwestern und ein gestörtes Verhältnis zur Verwandtschaft.
    Dass Jesus leibliche Geschwister hatte, ist aus den kanonischen Evangelien evident – wie auch, dass sein Verhältnis zur Verwandtschaft wenigstens anfangs nicht ganz einfach war:
    Mk 3,31 Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. 32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen

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