Die Un-Heilige Schrift
zuletzt, weil sich die Gnostiker sehr dafür interessierten.
Die Fiktion verselbstständigte sich und war nicht mehr zu tilgen.
Später entstanden ganze Listen zu verwerfender Kindheitsevangelien, und im 16. Jh. wurde unter Papst Pius V. der Versuch unternommen, den hl. Joachim sowie den Abschnitt über Marias Aufenthalt im Tempel aus der Geschichte – im doppelten Wortsinn – zu tilgen. Ein Versuch, der längst zum Scheitern verurteilt war. So machte man auf Schadensbegrenzung und übte sich im Zurechtbiegen und Glätten der Erzählung nach Maßgabe der katholischen Kirche. Dies mag Martin Luther dazu gereizt haben, ausgerechnet die ausschließlich aus dem Protevangelium des Jakobus bekannte hl. Anna anzurufen, als er ins Kloster eintrat. Später sollte Luther vehement gegen die apokryphen Kindheitsevangelien wettern.
Das Protevangelium sollte auch der jüdisch-rabbinischen Propaganda, derzufolge Jesus beileibe nicht göttlicher Abkunft sei, sondern der illegitime Bastard eines römischen Soldaten, den Wind aus den Segeln nehmen.
Der Aufruhr gegen die Maria-Geschichte ist indes nicht leicht nachzuvollziehen, geschah dies doch alles in bester Absicht und erfüllte neben der Befriedigung von Neugier und der „Erbauung“ (ein vornehmes Wort für Entertainment) doch auch ganz handfeste theologische Dienste. Die bei Lukas und Matthäus in spärlicher Form geschilderten Ereignisse reichten einfach nicht aus, um Marias Jungfräulichkeit bei und sogar nach der Geburt zu erklären; zumal das Wort Jungfrau bei Lukas gar nicht fällt – schon gar nicht nach der Geburt. Hier wundert sich Maria lediglich, wie sie empfangen soll, da sie doch „keinen Mann erkennt“. (Bei Luther: „Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?“). Warum sie „keinen Mann erkennt“, bleibt völlig unklar, immerhin ist sie die „Verlobte“ Josephs (Einheitsübersetzung) bzw. dessen „vertrautes Weib“ (Luther).
Selbst mit viel gutem Willen war die Story um Mariäs hartnäckige Jungfräulichkeit einfach viel zu dünn, um glaubhaft zu sein.
Die Leute verstanden die Handlungsweise der Protagonisten einfach nicht – ein Merkmal einer schlecht erzählten Geschichte. Da sie aber guten Willens waren und grundsätzlich glauben wollten, verlangte es sie nach einer überzeugenden Klärung der anstehenden Fragen:
Wie kam es, dass Joseph sein „vertrautes Weib“ nicht als Mann beglückte?
Wie genau trug sich die Empfängnis durch den Heiligen Geist zu?
Wie konnte Maria ihre Jungfräulichkeit bis zum letzten ihrer Tage bewahren?
Und was zeichnete dieses Mädchen eigentlich aus, dass sie für diese größtmögliche Ehre auserwählt worden ist?
Das Protevangelium lieferte willkommene Antworten. Man könnte sagen: Es schlug ein wie eine Bombe. Es schuf nicht nur die schriftliche Basis für die gesamte Marienverehrung bis in die Neuzeit und sorgte für religiöse Kunst und Literatur, die es andernfalls gar nicht hätte geben können, es drang sogar mitten in die katholische Lehre ein, allen Widerständen zum Trotz.
Schließlich haben nicht nur sämtliche Marienfeiertage hier ihre Wurzeln, sondern auch das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis (auch wenn davon nicht direkt die Rede ist). Darunter wird etwas ganz anderes verstanden als die Jungfrauengeburt: Es geht darum, dass Maria als vorbildlicher Mensch bereits zum Zeitpunkt, an dem sie selbst gezeugt wurde, von Gott auserwählt worden ist und ohne den Makel der Erbsünde auf die Welt kam.
Dogmatische Marienverehrung
Ein kirchliches Fest zu Ehren dieses Umstandes lässt sich bereits im 9. Jh. nachweisen. Der heute nur noch in ganz wenigen Staaten begangene Feiertag „Mariä Empfängnis“ (8. Dezember) hat eine
Die Allegorie von der Unbefleckten Empfängnis. Giorgio Vasari, 1541
wesentlich jüngere Tradition. Am 8. 12. 1854 setzte nämlich Papst Pius IX. einen Schlussstrich unter die Jahrhunderte der Diskussion, wie Maria – ein Mensch! eine Frau! – am Erlösungswerk habe teilhaben können, da sie doch wie alle anderen unter den Folgen der Erbsünde gelitten haben musste. Die Dominikaner nahmen eine göttliche Heiligung an, die Franziskaner vertraten die Theorie, dass Maria ohne Sünde empfangen worden sei. Pius erließ die dogmatische Bulle Ineffabilis Deus („Der unbegreifliche Gott“) und entschied den Streit zugunsten der franziskanischen Position:
Nachdem Wir also ohne Unterlaß in Demut und mit Fasten Unsere persönlichen und auch die gemeinsamen Gebete der
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