Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)
anstanden: Novembergesichter eines Novembermorgens nach der Beerdigung. Am Schalter stand eine Frau um die Fünfzig, großgewachsen, durchaus noch schön. Remouald blieb unvermittelt stehen.
In der behandschuhten Hand hielt sie einige Noten. Für Remouald, der sich in der Musik nicht auskannte und sang wie ein Pferd, gab es keinen schöneren Anblick als ein Notenblatt. Oft blieb er vor dem Schaufenster des Geigenbauers stehen und schwelgte in Bewunderung für diese Blättervoller unverständlicher Flügelchen, die präzise waren wie Träume und immer kurz davor davonzuschweben. Sie ließen ihn an Engelsbriefe an die Heilige Jungfrau denken, die aus dem Paradies hinabgefallen waren. Das Bild nahm ihn umso mehr gefangen, als die Dame mit den Notenblättern, die an diesem Morgen an genau dieser Stelle, hier in der Bank, vor Schalter Nummer vier stand, die Frau auf dem Marienbild war.
Eine Erscheinung, die in der Bank Geld abheben kam! ...
Remouald starrte sie mit offenem Mund an. Ein rotes Band hielt ihr Haar zusammen, das tiefgrau war. Vom Grau sonnenbeschienener Kiesel, die nach dem Regenschauer zu glitzern beginnen. Ihr Gesicht, vor allem die Augen und die Lippen, sah trotz seiner vielen Jahre noch immer aus wie auf dem Heiligenbild. Der Kassierer frage sie nach ihrem Namen und Remouald hörte sie antworten: »Vilbroquais, Justine Vilbroquais.« Der Name traf ihn wie ein Schlag.
Sie kreuzte Remoualds Blick und warf ihm ein vages Lächeln zu, das er nicht imstande war zu erwidern. Er senkte den Kopf, der ihn schlagartig schmerzte, und ballte wie in Verzweiflung die Fäuste. Er konnte nicht sagen, wie lange er so stand. Als er die Augen wieder aufschlug, war die Dame fort, aber der Direktor hielt ihn fürsorglich am Arm.
»Was ist los, mein guter Tremblay?«
Die Angestellten und Kunden standen um ihn herum, er war verwirrt. Jemand sagte, man solle ihm Kompressen anlegen. Remouald stützte sich auf den Tresen und stellte fest, dass seine Hände, sein Hemd, seine Hose, dass alles dunkelrot befleckt war. Die Sekretärin kam mit feuchten Tüchern, man brachte ihm einen Stuhl. Und als er sich setzte, bemerkte er, dass ihm Blut aus der Nase strömte.
Ihm pochte der Schädel, das Herz. Er hatte einen fürchterlichen Geschmack im Mund. Monsieur Judith ordnete an, einen Arzt zu rufen. Remouald sträubte sich: »Ich schwöre, es ist nichts!« Aber sie hielten ihn mit Gewalt auf dem Stuhl fest. Jemand eilte zum Telefon. Um ihn herum herrschte eine Unruhe wie in einem schlechten Traum. »So legen Sie doch den Kopf in den Nacken!« Remouald reagierte nicht. Es war, als spräche man mit ihm in einer unbekannten Sprache.
Das Blut hörte so plötzlich auf zu fließen, dass alle erstaunt waren, und es wurde still in der versammelten Menge. Remouald blickte starr vor sich hin. Man hörte nur noch das Glockengeläut der Kirche und gleichsam als Antwort das Bellen eines Hundes in der Ferne. Alle beobachteten Remouald mit angehaltenem Atem.
Nur Sarah pfiff abseits der anderen leise vor sich hin, ohne dass jemand sie beachtete. Unvermittelt drehte Remouald sich zu ihr um. Wieder meinte er deutlich vernommen zu haben, wie sie ihn beim Namen gerufen hatte. Er hatte ihn ganz in der Nähe seines Ohres gehört . Sie sah ein bisschen so aus, als würde sie Dinge verstehen, die die anderen nicht verstanden. Ruhig und bestimmt wies sie zum Fenster.
In diesem Moment schienen auf dem Parkett wie Wasser schillernde Sonnenflecken auf.
G ar munter schritt die Milchmagd gradeaus:
Denn angenehm war das, was sie im Gehen sann .
Sie zählte im Voraus
Das Geld schon, das sie beim Verkauf der Milch gewann;
Sie will von dem Erlös sich hundert Eier kaufen,
Will brüten lassen, und gewiss, sie hätte dann
Der schönsten Kükchen bald den schönsten Haufen .
Und weiter spann Perrette so im Laufen:
»Ich werde tüchtig mich bemühen,
Rund um mein kleines Haus die Hühner aufzuziehen .
Es müsste schon der schlimmste aller Füchse sein,
Der mir genug nicht übrig ließe von der Schar,
Dass ich dafür ein junges Schwein
Erhandeln könnte. Übers Jahr
Ist’s fett gemacht und trägt in bar
Mir dann ein nettes Sümmchen ein .
Ich geh und kaufe eine Kuh,
Die Kuh bekommt ein Kälbchen klein –
Ach, wird das eine Freude sein,
Wenn wir es springen sehn – juhu!«
Und voller Freude sprang Perrette selber .
Da tanzte ihr vom Kopf
Der milchgefüllte Topf –
Ade, ihr Hühner, Küh und Kälber!
»Ihr Hühner, Schweine , Küh und
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