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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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unvorhersehbare Richtungen.«
    »Umso besser. In dieser Schule ist alles gemischt: die Söhne von Notaren und von Armen, Intelligenz und Dummheit, die Ungeduldigen und die Träumer, Schüler, die voller Hochmut auf den Boden spucken, und andere, die heimlich ihre Popel essen; zukünftige Abgeordnete und auch zukünftige Verbrecher. Und jedes Kind nährt sich von alledem, saugt sich damit voll wie ein Schwamm, den man ins Wasser legt. Später wird jeder seinen Weg gehen, sich in dem Universum einschließen, das zu ihm passt. Erwachsene wissen manchmal weniger über die Menschen und ihre Verschiedenheit, als sie es in Kindertagen wussten.«
    »Sie haben Recht«, stimmte Clémentine ihm zu.
    Es war nicht das erste Mal, dass sie ihre eigenen Gedanken aus dem Munde des Direktors hörte. Sie sagte sich, dass das nicht nur Zufall sein konnte. Sie hob die Hand.
    »Schauen Sie da …!«
    Guillubart war im Eifer des Spiels von einem Kameraden zu Boden geworfen worden. Er blieb regungslos liegen. Gandon kämpfte mit dem Fenster, um es zu öffnen. Er beugte sich hinaus und schrie, dass die Pause beendet sei. Erleichtert sahen sie, wie der zarte Guillubart wieder aufstand.
    Mademoiselle Clément hinkte mit ihrem Klumpfuß zur Tür. Sie fragte den Direktor, was er zu tun gedenke. Gandon dachte eine Zeitlang nach und antwortete dann:
    »Sagen Sie den drei Schlingeln, sie sollen in einer Stunde in mein Büro kommen. So haben sie genügend Zeit, sich zu fürchten.«
    Clémentine vermeinte da eine Spitze herauszuhören. Vielleicht hatte sie sie sogar verdient. Der Direktor warf ihr ein leichtes trauriges Lächeln zu, und sie zog sich ohne noch etwas zu sagen zurück. Ihr neues Kleid war wieder einmal unbemerkt geblieben.
    * * *
    Ich habe ihr heute gesagt, dass ich nicht über andere urteilen möchte, was auch stimmt, aber ohne mir etwas darauf einzubilden, meine ich behaupten zu dürfen, die Menschen recht gut zu kennen. Ich mache mir keine Illusionen darüber, was sie von mir denkt, ich weiß, dass sie mich für einen Träumer hält, für einen harmlosen Idealisten, mit dem jeder umspringen kann, wie es ihm beliebt, und man kann nichts oder nur sehr wenig dagegen tun, was die Leute von einem denken … Wer sich dazu entscheidet, Sanftmut und Achtung zu den obersten Verhaltensmaßregeln zu machen, wenn auch in völliger Klarsicht, der gilt sogleich als ein Dummkopf, der nichts von den unerbittlichen Spielregeln des Lebens begriffen hat (man wird ihn sogar für schwach oder gar heuchlerisch halten). Sollte es diese sogenannten unerbittlichen Regeln wirklich geben, dann sind sie ordinär, und es scheint mir unsere oberste Pflicht, uns davor zu hüten, ordinär zu sein. Wegen des Argwohns, den es beispielsweise entfacht. Ich bin in der denkbar besten Position, um zu wissen, wie sehr uns das Universum der Kinder verschlossen ist. Die Kindheit ist eine Freimaurerloge, in die ein Erwachsener nur durch Betrug eindringen kann. Und in die er dann womöglich seine eigene Hölle mit hineinbringt. Wir als Erzieher dürfen niemals in unserer Wachsamkeit nachlassen, soviel steht fest. Aber es ist ein weiterer, großer Schritt, von unbedeutenden Zufällen auf böse Absichten des Bankangestellten zu schließen, mein Gott, ein sehr großer Schritt, und wenn Mademoiselle Cléments Argwohn es derart weit treibt, dann erscheint er mir nicht sehr gesund, ja er würde mich beunruhigen . Mein Eindruck ist, dass diese Frau niemals etwas wirklich Dramatisches erlebt hat. Soweit ich mutmaße, ist ihr Leben nicht gerade bewegt gewesen. Aus diesem Grunde ist ihre Welterfahrung im Ganzen gewiss recht beschränkt. Ich hatte eine Tante, die Hypochonderin war, eine von denen, die uns alle überleben werden; sie, die nie an einer schweren Krankheit gelitten hat, machte sich Sorgen um die größten Nichtigkeiten, um einen Pickel unter der Nase oder Schmerzen in den Fingern. Ich neige dazu zu glauben, dass es mit Mademoiselle Clément ähnlich bestellt ist. Ich bitte Sie! Sich wegen ein paar obszöner Zeichnungen Sorgen zu machen! Man muss schon sehr ahnungslos sein, was kleine Jungs angeht, gerade wenn man sie seit fünfzehn Jahren unterrichtet (ich würde aber nicht so weit gehen zu sagen, dass es typisch weiblich ist). Mademoiselle Clément ist der einzige Mensch, den ich kenne, den ich noch nie habe lachen sehen. Man könnte fast meinen, dass ihr schon der Gedanke daran zuwider ist. Ich kenne sie seit fünf Jahren und weiß, dass ich nicht übertreibe. Sie ist eine

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