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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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oder gehen mit Ihren kleinen Kameraden Rucksackwandern und singen Walderi, Waldera . Ich frage mich übrigens, ob Sie sich nicht vielleicht zu ihnen hingezogen fühlen. Aus demselben Grund, aus dem Sie sich hinter einer Robe verstecken. Aus Angst vor den Frauen, aus Angst vor dem Leben …«
    Gandon hielt es für das höchste Gebot eines Mannes, Haltung zu bewahren.
    »Ich warne Sie noch einmal in aller Ruhe. Wenn Sie so weitermachen … werde ich Sie hassen.«
    »Sie? Hassen? Haben Sie dafür überhaupt genug Kraft? Den Frühling lieben, ja, die Großmutter und die Vögelchen am frühen Morgen! Aber hassen, wissen Sie überhaupt, was das ist? Wie viel Charakter und Mut es dazu braucht …? Es ist einfach, alle und jeden zu lieben, wenn man nur seinen Pfadfinderidealen nachhängt, täglich eine gute Tat, ohne zu sehen, wohin man tritt, ohne das Leid zu sehen, das Übel, die Hölle, in der die Menschen um uns herum leben.«
    »Ich war einmal nachts zu Besuch bei einem befreundeten Arzt im Krankenhaus. Ich habe keinen Grund dazu, aber ich sage Ihnen trotzdem seinen Namen: Er hieß Daniel Langevin. Langevin, genau wie diese Schule. Wir tranken zusammen in seinem Büro. Und ich habe ihn darum gebeten, die schlafenden Kinder anschauen zu dürfen. Wir waren beide schon ein wenig angeheitert, sonst hätte er mir den Wunsch abgeschlagen und ich mich gar nicht erst zu fragen getraut. Doch sohaben wir eine Runde gedreht. In einem Zimmer lag ein Kind fernab von den anderen. Es sah aus wie ein Engel. Das ist keine Floskel, Mademoiselle: Ich habe genügend Kinder in meinem Leben gesehen, um sie nicht mit Engeln zu verwechseln. Aber dieses war wirklich einer. Mit blonden Locken, so wie man oft auf den Umzügen Johannes den Täufer sieht. Mein Freund hob die Bettdecke. Der Kleine hatte auf dem ganzen Rücken violette, golfballgroße Beulen. Daniel flüsterte mir ins Ohr: ›Er ist vier.‹ Er hatte nur noch wenige qualvolle Wochen zu leben.«
    Clémentine gab sich unbeeindruckt.
    »Warum erzählen Sie mir das?«
    »Um Ihnen zu zeigen, dass ich auch Augen im Kopf habe. Die Augen eines Menschen. «
    Sie zeigte ein müdes Lächeln, das mehr den Bildern an der Wand galt als ihm. Sie hatte die Arme in einer Art Umklammerung vor der Brust verschränkt, wie um sich warm zu halten.
    »Auch Ihre Bilder sind hässlich. Unbeholfen und albern, wie die Frauen darauf.«
    »Ich mache mir keine falschen Vorstellungen über sie.«
    Sie hob die Schultern.
    »Männer und Frauen können sich einfach nicht verstehen.«
    »Gehen Sie«, sagte er mit ruhigem Nachdruck.
    Clémentine griff sich Umhang, Handtasche und Hut mit den gleichen schnellen Bewegungen, mit denen sie auf dem Markt ihr Gemüse einpackte, und schob achtlos ihren Dutt zurecht. Burschikos schritt sie zur Tür. Sie drehte sich ein letztes Mal zu ihm um – eine Miene, ein Blick, mit denen sich Gandon die Nacht über quälen sollte. Dann humpelte sie rasend vor Hochmut in den Schatten dessen, was das Leben ihr noch ließ.
    Verlassen in der Mitte des Raumes stand Gandon, die Verachtung einer Frau im Herzen.
    Mit einem Mal stiegen sein Zorn, seine Sorgen, seine Verzweiflung wieder in ihm hoch. Er rannte zum Kabuff des Hausmeisters: Das Licht war gelöscht, die Tür abgesperrt, der Mann verschwunden. Gandon wusste, dass er seine Abende gern in der Taverne beschloss. Seine Saufkumpanen würden ihren Frauen heute Abend ganz schön was zu erzählen haben! Verschwitzt und außer Atem kehrte der Direktor in sein Büro zurück und wusste weder ein noch aus.
    Er öffnete den Schrank, um seinen Mantel herauszunehmen. Sein Blick fiel auf die Gouache, die er für sie gemalt hatte und ihr hatte schenken wollen. Es war ein Portrait von Clémentine, mit dem er sich den ganzen Sonntag abgemüht hatte. Er musste sich zurückhalten, es nicht einfach zu zertreten.
    »Das verzeihe ich ihr nie. Niemals!«
    Tief in seiner Manteltasche stieß er auf eine klebrige Masse. Er holte eine lange Blutwurst hervor, die er am Morgen gekauft und gleich wieder vergessen hatte. Er biss hinein. Er mochte zwar keine rohe Blutwurst, war aber in der Laune für Widersinniges, wie um Gott zu sagen: »Du wolltest, dass ich rohe Blutwurst nicht ausstehen kann? Sieh mich an, ich esse sie trotzdem!« Als er sich bückte, um sich die Stiefel anzuziehen, bemerkte er, dass er ejakuliert hatte.
    In Mörderlaune vor sich hin schimpfend lief er zum Schultor. Plötzlich tauchte Remouald aus dem Schatten auf, unter der Nase einen Tropfen, der

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