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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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richtete sich auf, und schon bei dieser kleinen Anstrengung schlug sein Herz schneller; für einen Moment tanzten ihm Sterne vor den Augen.
    Der Schulhof wirkte auf ihn wie eine riesige, unbezwingbare Wüste aus Weiß. »Kleines Pfötchen, kleines Pfötchen«, murmelte er. Er wischte sich etwas Schnee von der Stiefelspitze.
    Am anderen Ende des Hofes bemerkte er eine Gestalt. Er folgte ihr mit dem Blick. Eine kleinwüchsige Frau mit riesigen Brüsten und breitem Hintern. Plötzlich blieb sie stehenund bückte sich. Als sie merkte, dass Remouald auf sie zueilte, beschleunigte sie den Schritt und hielt ihr Brot und ihre Tasche, in der keine zwanzig Sous waren, fest unter den Arm geklemmt. Aber der junge Mann holte sie ein und versperrte ihr den Hofausgang.
    »Haben Sie etwas gefunden?«
    Remouald wartete mit starrem Blick. Die Frau wich zurück.
    »Sagen Sie mir, was Sie da aufgehoben haben, und ich gebe Ihnen …«
    Er wühlte in seinen Taschen.
    »Ich gebe Ihnen die Streichhölzer dafür.«
    »Ein Verrückter!«, dachte die Frau verzweifelt.
    »Wollen Sie wissen, in wie vielen Schaltjahren das Fest der Unbefleckten Empfängnis auf einen Freitag fällt? Sagen Sie mir, was Sie da eben aufgehoben haben, und ich rechne alles für Sie aus, was Sie wollen.«
    Der Frau verschlug es fast die Sprache:
    »Ich will nicht, dass Sie irgendetwas für mich ausrechnen!«
    Sie hatte Angst, er würde mit dem Messer ein Zahlenrätsel aus ihr machen.
    »Oder Briefmarken, ich habe welche zu Hause, Sie können sie haben, mit Bildern aus aller Welt … Ich bitte Sie. Madame.«
    Die Frau schwieg. Remouald hatte seine Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Sein Gesicht verfinsterte sich, und er nahm die Hände aus den Taschen.
    »Geben Sie mir meine Hasenpfote!«
    Wieder wich die Frau zurück.
    »Ihre Hasenpfote?«
    Er ging auf sie zu und boxte ihr mit der Faust gegen die Schulter.
    »Ja, meine Hasenpfote«, wiederholte er und streckte die Hand aus.
    Die Frau nahm die Pfote aus dem Mantel und warf sie zu Boden. Dann ergriff sie rennend die Flucht, die Hand auf dem Haarknoten, ohne Brot. Remouald fiel auf die Knie. Er blies den Schnee von der Pfote und legte die Lippen darauf. »Meine arme Kleine, ist das die Möglichkeit? Das war die erste Nacht, die wir nicht zusammen verbracht haben.«
    Sobald die Frau über die heimische Türschwelle getreten war, rannte sie in die Küche.
    »Armand! Armand!«
    Armand trug eine bleigraue Mütze und kämpfte mit den Augenlidern. Eine Zigarette brannte im Aschenbecher im Schlafzimmer, eine in der Küche, und eine zwischen seinen Fingern, die aussahen, als wären sie in Jodlösung getunkt worden.
    Seine Frau berichtete ihm in allen Einzelheiten, was ihr auf dem Rückweg von der Bäckerei passiert war. Mit großen Gesten und wogender Brust stellte sie die Szene nach und nahm heroische Posen ein. Sie ahmte Remouald nach, indem sie bedrohlich mit den Augen rollte und die Arme über den Kopf hob, als wäre ihr gerade der gefürchtete Schneemensch begegnet.
    Ihr Mann hörte zu, wie Ehemänner zuhören, und sagte sich gelangweilt, dass auch diese Erzählung irgendwann ein Ende finden würde, wie es schließlich immer war. Dann leuchteten seine Augen plötzlich auf und er begann Interesse für die Geschichte zu zeigen. Von dem unerwarteten Erfolg ermutigt, schmückte die Frau ihren Bericht weiter aus. Als es ihr reichte, immer wieder dieselben Einzelheiten zu wiederholen, hielt sieinne, faltete die Hände vor der Brust und wartete auf seine Reaktion.
    Armand ließ sich Zeit. Ein undefinierbares Lächeln umspielte seine Lippen. Er ging zum Waschbecken und versetzte wie nebenbei:
    »Ich glaube, ich weiß, wer dein Verrückter ist.«
    Seine Frau war sprachlos. Er genoss diesen ersten Etappensieg. Denn er hatte noch viel Besseres zu erzählen an diesem Morgen! Er spritzte sich Wasser ins Gesicht, trocknete sich ab und setzte sich räkelnd und mit einem wohligen Seufzer wieder hin ...
    Armand war Hausmeister in der École Langevin.
    * * *
    Sarah hatte den Kleinmädchentick, ihre Wollstrümpfe immer so hoch wie möglich über die Knie zu ziehen, weshalb man alle naselang mit ihr stehen bleiben musste, damit sie sich ihrem Ritual hingeben konnte. Manchmal erregte irgendeine Kleinigkeit ihre Aufmerksamkeit, die Form einer Wolke, ein Spatz, der an einem alten Schuh pickte. Remouald begann die Sprache ihrer Augen zu verstehen, die ihm oft viel klarer war, als Worte es hätten sein können. Wie bei den Eulen ließen Sarahs

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