Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
Vom Netzwerk:
Augen:
    »Ich mag keine Bonbons.«
    Remouald hatte eine Idee. Als würde ein anderer an seiner Stelle sprechen, hörte er sich sagen:
    »Wir gehen ins Kino! Na, komm! Wenn du runterkommst, gehe ich mit dir ins Kino!«
    Siméon hatte zum Telefon gegriffen, um die Nummer der Polizei zu wählen. Sarah schnitt übermütig freche Grimassen, gewiegt vom geruhsamen Schwingen des Schinkens.
    »Also gut, Kino«, lenkte sie schließlich ein.
    Sie ließ sich sacht in Remoualds Arme fallen.
    Remouald nahm den Hut ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.
    Der Metzger sah Sarah verblüfft an. Sie ging zu ihm und legte ihm artig das Schnitzel in die Hand. Sie dankte ihm miteinem Blick. Dann kehrte sie zu Remouald zurück und drückte ihre Wange an sein Bein. Sie lächelte Siméon zu.
    Remouald sagte mit schwacher Stimme:
    »Gut, dann also vielen Dank, Herr Metzgermeister.«
    »He!«, rief Siméon. »Jetzt tun Sie mal nicht so! Wer bezahlt mir denn jetzt das Schnitzel?«
    »Na, der, der es kaufen will«, erwiderte Remouald verwirrt von der allzu offensichtlichen Antwort.
    »Ach, Sie glauben, das kann ich noch verkaufen?«
    Remouald sah da tatsächlich keine Schwierigkeiten.
    »Sehen Sie sich das an! Ihre Tochter hat es total zerfleddert!«
    »Das ist nicht meine Tochter.«
    »Mir doch egal. Sie zahlen mir jetzt dieses Schnitzel!«
    Remouald gab ihm ein paar Sous, überzeugt, wieder einmal über den Tisch gezogen worden zu sein, aber mit einem Händler zu diskutieren überstieg seine Kräfte. Siméon wickelte das Fleisch achtlos in Wachspapier und warf es Remouald vor die Brust. Sarah schnappte es sich.
    Der Metzger tippte sich an die Stirn.
    »Ich glaube, es liegt daran, dass sie Fleisch einfach nicht besonders mag«, sagte Remouald.
    Siméon fluchte und ging zurück ins Hinterzimmer. Sarah und Remouald verließen das Geschäft.
    Sobald Sarah die Eintrittskarte in der Hand hatte, steckte sie sie sich in den Mund und schluckte sie herunter. Der Platzanweiser wollte nichts von Remoualds Erklärungen wissen, obwohl er alles gesehen hatte. »Ich brauche eine Karte, Schluss, aus.« Sie setzten sich in einen fast leeren Saal, nicht ohne zuvor noch einmal an der Kasse gewesen zu sein.
    Remouald hatte Filme nie besonders gemocht. Er hielt wenig von diesen zerstückelten Szenen, mal zu schnell, mal beunruhigend langsam, den gigantischen Gesichtern, die immerfort Grimassen schnitten, und den Schreckensfiguren, die plötzlich mit einem Messer in der Hand aus dem Nichts auftauchten. Er fand es seltsam, dass die Leute Geld ausgaben, um sich derlei Ängsten hinzugeben. Er machte lieber die Augen zu und lauschte dem Klavier. Dann schlief er ein.
    * * *
    Es wurde etwas gerufen, und Remouald öffnete die Augen. Die Madonna vom Heiligenbild stand über ihn gebeugt und lächelte.
    »Wer sind Sie?«
    Er murmelte undeutlich wie ein Kind im Traum.
    »Es ist Zeit zu gehen, Monsieur, die Vorstellung ist zu Ende.«
    Sarah war ebenfalls eingeschlummert, an Remouald geschmiegt. Die Klavierspielerin sprach leise, um sie nicht unsanft zu wecken. Sie wiederholte, dass es Zeit sei zu gehen.
    »Ja«, sagte Remouald, ohne sich zu rühren.
    Sarah wachte auf und reckte sich wohlig. Sie sah aus und roch wie ein verschlafenes Kätzchen. Remouald nahm sie auf den Arm. Die Klavierspielerin verließ den Saal. Remouald eilte ihr nach.
    »Mademoiselle Vilbroquais«, sagte der Platzanweiser, »da ist etwas für Sie gekommen.«
    Er verschwand hinter einer Tür und kehrte mit einem Bündel verschmutzter alter Briefe zurück, die durch sehr viele Hände gegangen sein mussten.
    »Aus New York. Die Person, die Ihnen geschrieben hat, wusste nur, dass Sie Klavierspielerin in einem Kino sind. Deswegen sind die Briefe durch alle Häuser gegangen. Aber schauen Sie, da steht ganz klar Ihr Name.«
    Justine Vilbroquais schien höchst erstaunt. Sie öffnete einen der Umschläge. Remouald stand hinter ihr. Als sie die Stirn senkte, ähnelte sie noch mehr ihrem Porträt auf dem Heiligenbild. Sie blätterte sogleich hastig zur letzten Seite des Briefes.
    … denn ich weiß, meine Geliebte, dass wir uns nach diesen zwanzig schlaflosen Jahren wiedersehen werden, nach zwanzig Jahren, die es gedauert hat, bis du mir vergeben konntest, und ganz gleich wo wir in der Zeit gewesen sind, es wird an diesem Tag so sein, als würden wir uns nach tausend unnützen Irrungen im Haus meiner Kindheit wiedersehen (du hast es sicher nicht vergessen: Ich war neun und schickte dir Glückwunschkarten,

Weitere Kostenlose Bücher