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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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dachte, Romano findet was.
    Ich weiß nicht, was mit ihr ist. Ich weiß nicht, wie ich ihr helfen soll.
    Hm.
    Rhoda merkte, dass Jim sich nicht wirklich für das Thema interessierte. Zu durcheinander und kompliziert. Du willst darüber nicht reden.
    Schon gut, sagte Jim. Wirklich.
    Ich versuche, sie zu verstehen, und das gelingt mir einfach nicht. Vielleicht ist es der Ruhestand. Ich weiß, dass sie ihre Arbeit vermisst und sich jetzt nutzlos fühlt. Und sie haben nicht so viel Geld, wie sie im Alter haben wollten, das macht ihr wahrscheinlich auch Sorgen. Aber da ist noch was anderes, etwas Wichtigeres. Es ist, als hätte sie ihre eigenen geheimen Abmachungen mit den Göttern.
    Wow, sagte Jim. Das klingt ein bisschen hochtrabend.
    Ich meine es ernst. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass die Welt gegen sie ist, und es ist, als würde sie sich für den Kampf wappnen. Sie ist völlig paranoid.Und dann versuche ich, etwas zu sagen, und sie weiß, ich gehöre nicht zu den Göttern. Ich habe keine Entscheidungsbefugnis. Ich darf nur zusehen, also bin ich unwichtig.
    Das stimmt nicht. Du bist ihr wichtig.
    Früher. Jetzt nicht mehr. Ich glaube, der Schmerz in ihrem Kopf kommt davon, dass sie sich für den Krieg rüstet. Und zwar mit Dad, das weiß ich, aber nicht, worum es da wirklich geht, weil ich nicht beteiligt bin.
    Rhoda, sagte Jim. Nimm’s mir nicht übel, aber ich glaube, dass du jetzt selber überschnappst. Du interpretierst zu viel rein. Sie hat Schmerzen, wahrscheinlich weil sie so ein Nervenbündel ist. Oder sie muss sich an den Ruhestand gewöhnen, wie du sagst. Aber damit hat’s sich. Sie kommt drüber weg.
    Das glaube ich nicht. Und Rhoda wurde klar, dass dies der Wahrheit entsprach. Auf einmal wurde sie sehr traurig. Sie glaubte nicht, dass ihre Mutter sich erholen würde. Weil ihr Problem, was immer es war, ihr gesamtes Leben umfing. Das war der Schlüssel. Es überspannte die Zeit. Ich glaube nicht, dass sie sich erholt, sagte sie zu Jim. Wirklich nicht.
    Da hielt Jim sie fest, schlang beide Arme um sie, und sie machte die Augen zu und hätte gern alles irgendwie angehalten, nur war überall Dunkelheit, eine Leere, nichts, woran sie sich festhalten konnte. Wann heiratest du mich, Jim?, fragte sie. Ich brauche etwas Festes. Sie konnte nicht fassen, dass sie das eben gesagt hatte, dass sie diese Worte ausgesprochen hatte. Hatte sie aber.
    Es folgte eine lange, hässliche Pause, und sie spürte,wie sein Atem und sein Herzschlag sich beschleunigten. Ich liebe dich, Rhoda, sagte er schließlich.
    Reicht nicht. Wann heiratest du mich?

D er Waschtisch war ein kalter Aluminiumtrog, ein Planschbecken aus Blut und Salzwasser. Carls Hände klamm vor Kälte, die Finger wund. Der Lachs kam ausgenommen und geköpft zu ihm, aber er musste mit seinen dreifach behandschuhten Händen die klaren dünnen Membranen fassen und herausziehen, dann auf den Boden werfen. Vier oder fünf Versuche für jede Membran, bevor er sie fand, und manchmal war sie gar nicht da.
    Das Tscha-tschank der Köpfmaschine ein steter Rhythmus, alle paar Sekunden, noch ein Fisch für ihn, und er wurde allmählich panisch. Zu viele Fische, Stau am Waschtisch. Metallica in voller Lautstärke aus den Boxen über ihm.
    Diese Arbeit machten außer ihm noch drei, alle schneller, trotzdem stapelten sich die Fische, füllten das Blutbad. Die Frau ihm gegenüber, auch eine Collegestudentin, nahm gar keine Membranen heraus, das stresste ihn zusätzlich. Sie strich dem Fisch flüchtig über die Seite, um das Blut abzuwaschen, lugte dann kurz in den ausgenommenen Teil des Körpers, wo sich die Membranen versteckten, und warf den Fisch in eine weiße Plastikschütte in der Mitte des Tisches, weiter zu den Kontrolleuren. Mit jedem Wurf brachte sie es fertig, den Schwanz so gegen die Schütte zu klatschen,dass Carl Schleim und Wasser ins Gesicht spritzten. Das hatte sie perfektioniert. Und sie schaffte drei Mal so viele Fische wie er.
    Dann die zwei Kontrolleurinnen am Ende des Trogs, ähnliches Alter, aber keine Studentinnen. Ihre Aufgabe bestand eigentlich darin, die Fische kurz zu prüfen und zu sortieren. Die mit Schnitten oder gebrochener Mittelgräte in eine Seitenwanne. Jede andere Lachsart in eine andere Wanne, weil nur Rotlachs verarbeitet wurde. Sie aber zogen eine Membran heraus oder drückten einen Blutfleck weg oder zupften ein Kiemenstück ab, wenn der Fisch nicht sauber war, und es schien sie nicht zu scheren, dass sie das mit jedem einzelnen

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