Die Unermesslichkeit
einfach nicht, was er hätte fühlen müssen, um dagegen anzugehen. Vielleicht fehlte ihm ein Wesenszug, was auch immer es war, was Menschenmiteinander verband. Aber er wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Und war das wirklich ein Verbrechen?
Als Gary am Morgen aufwachte, war Irene weg. Seine Nase war verstopft, sodass er durch den Mund atmen musste, Halsschmerzen. Kopfweh. Also drehte er sich um und versuchte, wieder einzuschlafen.
Er hörte Hämmern, der Wind verebbt, das Zelt nicht mehr wild. Irene an der Hütte zugange, aber er fragte sich, was sie tat. Vielleicht nahm sie sie auseinander und baute gar nicht.
Das scheuchte ihn hoch, die Vorstellung, dass sie möglicherweise die Hütte demolierte. Er zog eine trockene Garnitur Kleider an, seine Latzhose und ein altes Paar Stiefel, seine nasse Regenjacke. Öffnete die Zelttür und trat in eine weiße Welt. Der Schnee nicht tief, vielleicht drei Zentimeter, aber atemberaubend in seiner Kraft, alles zu verwandeln. Entfernung und Tiefe umrissen, die aufwärts zeigenden Blätter weiß, die Stängel darunter im Schatten. Selbst die Fichten – die Oberseiten der Nadeln allesamt weiß, nur die Oberseiten. Die Welt konturiert und vollständig erneuert, anderes Licht. Gestern konnte genauso gut sechs Monate her sein.
Wow, sagte Gary. Das ist wunderschön.
Irene hielt im Hämmern inne und blickte um sich unter der Kapuze ihrer grünen Regenjacke. Ja, sagte sie. Aber sie sah Gary nicht an. Hämmerte weiter.
Gary ging zur Hütte, trat durch die Hintertür, vollständig ausgeschnitten und verstrebt. An der Vorderwanddie Lücke fürs Fenster, nicht ganz viereckig. Lagen von Baumstämmen darüber, die höchste bei zwei Meter fünfzig. Irene aufrecht auf einer Aluminiumtrittleiter beim Einschlagen der letzten Nägel.
Danke, sagte Gary. Sieht aus, als seien wir bereit für ein Dach.
Ja, sagte sie. Wie ist der Plan?
Ich wollte es eigentlich mit Baumstämmen machen, sagte Gary. Aber ich sehe nicht, wie das funktionieren soll. Da wird es bloß reinregnen.
Keine Antwort von Irene. Auf der Hut, das merkte er. Hatte viel zu sagen, aber hielt sich zurück, was ihm recht war. Sie versenkte einen Nagel, fünf Schläge. Der Wind fächelte durch die Bäume, viel leichter als zuvor.
Insofern werde ich wohl in der Stadt Deckblech kaufen. Nicht der Stil, den ich wollte, aber wir brauchen ein Dach. Der Wind lässt nach, also sollten wir übersetzen können, vielleicht morgen oder übermorgen.
Der Plan gefällt mir.
Wir müssen es schräg decken, sagte Gary, damit der Schnee abgleitet. Wir machen die Rückwand höher und holen uns ein paar dicke Kanthölzer als Dachbalken von der Rück- bis zur Vorderwand. So sollte es halten, glaube ich.
Irene stieg vom Tritt, blickte durch die Fensterlücke, stand da mit hängenden Schultern, Hammer in der Hand. Klingt gut, sagte sie schließlich. Das wird gehen.
Sie sah ihn noch immer nicht an, und Gary war beinahe, als sollte er sich einen Ruck geben, etwas sagen, um die Distanz zu überbrücken, Frieden zu schließen.Sich vielleicht für letzte Nacht entschuldigen, dafür, dass er gesagt hatte, er habe was Besseres verdient als sie. Aber sie hatte ihn schließlich angegriffen, und im Moment war ihm nicht nach diesem Ruck. Er war unterkühlt. Aus irgendeinem Grund dachte er an Ariadne und die Passage bei Catull, wo im Herzen der Braut vielfältiger Kummer sich wälzt, vielleicht, weil Irenes Schultern so hingen. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber wie sie da in den Schnee starrte, sah sie aus, als sei alles verloren. Er konnte sich nicht ans Lateinische erinnern. Ariadne sah zu, wie Theseus auf seinem Schiff davonfuhr, sie verließ, genau wie Aeneas es mit Dido tun würde und Gary seit Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten erwog, es mit Irene zu tun. Und jetzt war möglicherweise die Zeit gekommen, ihre Ehe eingehen zu lassen. Vielleicht war es besser für beide. Von Anfang an falsch, etwas, das ihrer beider Leben kleiner gemacht hatte. Schwer zu sagen, was der Wahrheit entsprach. Ein Teil von ihm wollte sich entschuldigen, die Arme um sie schlingen, ihr sagen, sie sei alles, was er habe auf der Welt, aber das war nur Gewohnheit, nichts, dem zu trauen war.
Ich gehe das Holz sägen, sagte er.
R hoda fand Mark auf der Gokart-Bahn. Seine Freunde und er gingen immer am ersten Schneetag dorthin, um zu kreiseln und ineinander zu krachen. Die Fischsaison war vorbei, und sie hatten nichts zu tun, außer Drogen zu nehmen und solchen
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