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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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Daliegen, das Ausruhen mit geschlossenen Augen, irgendwie als Teilschlaf, etwas, das man endlose Jahre betreiben kann?
    Gary trat aus dem Zelt, mit offenen Schnürsenkeln, offener Jacke, unbedecktem Kopf. Überwiegend grau jetzt. Stolperte ein paar Meter weiter und pinkelte, von ihr abgewandt. Was sie an das Plumpsklo erinnerte. Sie mussten immer noch ein Plumpsklo bauen. Um nicht mehr hinter Büschen im Schnee zu hocken.
    Gary schüttelte aus und zog die Hose zu, trat zurück, band die Stiefel zu, holte seine Mütze aus dem Zelt. Kalt, sagte er. Es kommt Wind auf.
    Ja, sagte sie. Ich will die Balken zurechtsägen. Ich muss mich bewegen, um mich aufzuwärmen.
    Okay, sagte er. Was ist mit Frühstück?
    Können wir später machen.
    Okay.
    Sie gingen zu dem Haufen Kanthölzer, trugen einen Balken durch die Hintertür in die Hütte und stellten sich auf Trittleitern. An der hohen Rückwand hielt Gary den Balken über seinen Kopf und markierte die Schnittstelle mit einem Bleistift.
    Dann machte sich Irene ans Sägen, spürte, wie der Oberkörper warm wurde. Unter anderen Umständen hätte sie es vielleicht genossen, eine Hütte zu bauen. Eine gute Ablenkung, das Gefühl, etwas zu schaffen. DasWinkelstück fiel ab, und sie gingen zurück, um den Balken anzupassen.
    Ziemlich gut, sagte Gary schließlich. Geht so. Wir können die anderen im selben Winkel sägen.
    Irene versuchte, nur zu arbeiten und an nichts anderes zu denken. Wie die Säge durchs Holz riss, wie das Holz nach der Säge schnappte, sie festkrallte und immer weiter, und Irene dachte wieder an den Winter, fragte sich, was sie da gesehen hatte. Hatte das etwas zu bedeuten? Garys Namen zu sagen, dort auf dem Eis zu stehen und rundum zu blicken? Den Schnee wegzuwischen und das schwarze Eis zu sehen und in die Teufelskeule zu laufen, all die Stacheln. Es war kein Traum gewesen. Es war eine Wachvision, und doch hatte sie die Stacheln gespürt, die verdrehten Knäufe um sie herum. Ihren Bogen zu tragen. Und war sie jagen gewesen? Wie ist es möglich, die eigenen Visionen nicht zu kennen, die eigenen Tagträume?
    Garys Stimme. Irene versuchte, zurückzukommen, sich zu konzentrieren. Was?, fragte sie.
    Ich sagte, wir kriegen die beiden Enden nicht zusammen. Oder vielleicht doch. Mal überlegen.
    Irene hörte auf zu sägen. Wartete. Sah auf das Sägemehl im Schnee. Die Zehen kalt, die Knie kalt auf dem Boden. Sie ging in die Hocke, aber das war beim Sägen zu wacklig, also kniete sie sich wieder hin.
    Ich kann nicht klar denken, sagte er. Ich brauche Frühstück. Wir müssen frühstücken, bevor wir anfangen.
    Irenes Schuld, dass er nicht nachdenken konnte.Nichts Neues also. Sie ging zum Coleman-Kocher und setzte den Kessel auf. Heißes Wasser für Haferflocken und Schokolade oder Tee. Kaffee tranken sie beide nicht. In vielerlei Hinsicht war ihr eigenwilliger Lebensstil gut gewesen. Kein Fernsehen. Kein Internet. Kein Telefon. Nur der See, der Wald, ihr Zuhause, ihre Kinder, in die Stadt zum Arbeiten und Einkaufen. Es war kein schlechtes Leben gewesen, oberflächlich betrachtet. Es hatte etwas Ursprüngliches. Etwas, das echt hätte sein können, wenn es für Gary nicht bloß eine Ablenkung gewesen wäre, eine Art Lüge. Wäre er ehrlich gewesen, hätte ihrer beider Leben echt sein können.
    Gary in seinem Zelt, beim Ausruhen oder Aufwärmen, während Irene darauf wartete, dass das Wasser kochte. Sie fragte sich, ob sie milder sein könnte, ihm alles verzeihen, es vorüberziehen lassen könnte. Ob sie ihr gelebtes Leben akzeptieren könnte. Das hätte etwas Beruhigendes. Doch letztlich fühlt man, was man fühlt, man hat keine Wahl. Man kann sich nicht von Grund auf neu erschaffen. Man kann sein Leben nicht anders wieder zusammensetzen.
    Endlich kochte das Wasser, und Gary kam zu Haferbrei und heißer Schokolade, setzte sich in die Zelttür, wo Platz war für einen. Also aß Irene ihren Haferbrei kniend neben dem Kocher und dachte, dass man sein Leben tatsächlich nicht anders wieder zusammensetzen konnte. Das war das Problem. Erkenntnisse kamen zu spät, und dann konnte man sie nicht mehr gebrauchen. Die Entscheidungen waren längst getroffen.
    Jetzt weiß ich, wie wir es machen, sagte Gary. Ichbrauchte bloß ein bisschen was im Magen. Wir schrägen ein Ende der Verlängerungsstücke an, passen es dann an und markieren die Stelle, wo sie aufeinandertreffen. So geht es.
    Gute Idee, sagte Irene. Sie hatte nicht zugehört, und es war ihr egal. Sie fing wieder an zu

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