Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Schaltfläche klickte, lautete die freudige Botschaft: 86 Punkte. Endlich konnte ich Geschäfte machen.
Ich brauchte nur noch Kunden.
Nach und nach setzte Rudy mehr Vertrauen in mich. Er übertrug mir ein paar Kunden, die ich betreuen durfte. An der Wall Street nennt man sie «Practice Clients» – Übungskunden. Die Firma verdient nicht viel an ihnen, hat aber auch wenig zu verlieren. Im Idealfall wird so ein Kundenkontakt auf beiden Seiten von Nachwuchskräften gepflegt, die noch in der Ausbildung sind.
Währenddessen kämpfte meine slowakische Kollegin ganz offensichtlich mit härteren Bandagen. Wenn das Telefon klingelte, war es normalerweise die Aufgabe des jüngsten Analysten, den Anruf entgegenzunehmen. Sie versuchte ständig, mir zuvorzukommen. Wenn ich bei zehn Kunden Nachrichten hinterließ, schaffte sie zwölf. Mir kam das alles etwas widersinnig vor. Wir zogen doch am gleichen Strang, und ich stellte für sie keinerlei Bedrohung dar.
Oder doch?
Im vorigen Sommer hatten wir den Börsengang eines türkischen Telekommunikationsunternehmens betreut. Rudy brauchte jemanden, der ihren CEO zu Besuchen bei den großen Hedgefonds und Investmentfonds begleiten würde, die zu unseren Kunden zählten. Er musterte mich von oben bis unten und meinte dann: «Das übernehmen Sie, Springbock.»
Spitznamen waren wichtig bei Goldman Sachs, und Rudy das Tier hatte mir einen guten verpasst. Der Springbock ist eine flinke Gazelle und so eine Art nationales Maskottchen Südafrikas. Es war das Symbol der Rugby-Nationalmannschaft.
Da war ich also, kaum aus der Uni, allein mit dem Chef eines Milliardenunternehmens, dem ich die Tasche hinterhertrug, während wir kreuz und quer durch Kalifornien und Texas reisten. Er war aalglatt bis hin zu seinem zurückgekämmten Haar, und man merkte ihm an, dass er in seiner türkischen Heimat eine große Nummer war. Er hätte Wirbel machen können, weil man ihm nur einen kleinen Nachwuchsanalysten zur Seite stellte. Ich glaube allerdings, er fühlte sich bei seinem Amerikabesuch ein bisschen befangen. Zum einen sprach er kaum Englisch (ich allerdings noch weniger Türkisch), zum anderen war er noch nie in San Francisco, San Diego oder San Antonio gewesen. Obwohl ich selbst erst seit vier Jahren in den Staaten lebte, kannte ich mich sehr viel besser aus als er.
Anfangs wusste ich nicht genau, wie stark ich mich bei Kundenterminen ins Gespräch einbringen durfte. Sollte ich lieber den Mund halten? Sollte ich jeden Kundenkontakt mit ein paar Worten über das türkische Unternehmen einleiten? Ich stellte fest, dass der türkische CEO jede Hilfestellung dankbar annahm. Und ich lernte jeden Tag dazu.
Diese Dienstreise bescherte mir noch ein weiteres kleines Erfolgserlebnis. Nach einem vollen Tagesprogramm in San Francisco konnte ich Stanford und ein paar alte Freunde besuchen – nicht nur als ehemaliger Student, sondern als Mitarbeiter von Goldman Sachs. Stolz erzählte ich allen, dass ich geschäftlich in der Stadt war. Zufällig fand an dem bewussten Wochenende das traditionelle «Big Game» statt, und wir besiegten unseren Football-Erzrivalen Cal Berkeley zum siebten Mal in Folge mit 35 : 28. (In den nächsten Jahren sollte es allerdings aus sein mit dieser Glückssträhne.) Rudy das Tier wusste, dass er mir mit diesem Auftrag einen großen Gefallen getan hatte, und ich honorierte das.
In jenem Herbst ging ich mehrfach auf Geschäftsreise. Im Scherz sagte Rudy oft, er würde mich zu all den langweiligen Städten wie San Antonio und Dallas schicken, weil er keine Lust hatte, selbst hinzufahren. Ich fand es aufregend. Wenn Rudy sagte: «Springbock, Sie fahren nach Columbus, Ohio», verdrehte ich nicht die Augen. Für mich war das die Chance, mehr von dem Land zu sehen, dass ich so liebte. Auf jeder Geschäftsreise – auch später, als ich nach London geschickt wurde und Termine in Dubai, Frankfurt oder Paris wahrnahm – versuchte ich, mir abends ein paar Stunden freizunehmen, ein nettes Lokal zu finden, um womöglich ein bisschen mit den Leuten in Kontakt zu kommen – auf die Gefahr hin, dass ich am nächsten Morgen ziemlich gerädert war.
Ich war gern geschäftlich unterwegs und genoss es, Goldman Sachs zu repräsentieren. Das war einer der großen Vorteile der Tätigkeit in einem so kleinen Team. Mein frankokanadischer Wohnungsgenosse gehörte zur Abteilung Canadian Equity Sales, die fünfzehn Mitarbeiter hatte. Er wurde noch nicht so früh auf Reisen geschickt. Ich fühlte mich
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