Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
obersten Knopf ab und platzierte ihn unter dem Beifall der anderen auf meinem Monitor. Ich schüttelte Rudy kräftig die Hand.
Er tat aber noch etwas Unerwartetes. Er nahm sich die Freiheit, eine E-Mail an rund fünfundzwanzig Mitarbeiter der Abteilung International Equitites zu senden, darunter auch solche an höherer Stelle. Sie lautete: «Heute ist ein großer Tag und ein wichtiger Meilenstein in der Karriere von Springbock. Er hat mit South African Breweries sein erstes Geschäft über die Bühne gebracht. Die Transaktion bringt der Firma 600 Dollar. Bitte schließen Sie sich meiner Gratulation und meinen guten Wünschen für eine lange, erfolgreiche Karriere an der Wall Street an. Zu Ehren dieses besonderen Tages habe ich ihm statt der Krawatte einen Hemdknopf abgeschnitten.» Die E-Mail war kaum verschickt, da strömten schon die Gratulanten herbei – darunter auch der eine oder andere Managing Director –, um mir feierlich die Hand zu schütteln. Ich wurde offiziell in den Club aufgenommen. Für mich war das ein stolzer und glücklicher Augenblick.
Dabei war Rudy Glocker alles andere als sentimental. Während meiner ersten Arbeitswochen drückte er mir ein Exemplar von Hardball von Chris Matthews in die Hand, mit praktischen Ratschlägen zum Überleben in der knallharten Welt der Politik. Rudy war selbst knallhart und legte großen Wert auf Pünktlichkeit und Perfektion. Er hasste alles Vulgäre und hatte eine Spardose auf seinem Tisch, in die jeder, dem ein Schimpfwort herausrutschte, einen Vierteldollar zahlen musste. Vor allem aber hasste er Verspätungen. Anfangs passierte es mir mehrmals, dass ich mit Research-Analysten Kunden aufsuchte und die Termine überzog, weil die Kunden noch Fragen hatten, sodass der ganze Zeitplan durcheinandergeriet. Rudy war stinksauer – was er auch ohne jeden Kraftausdruck sehr deutlich kommunizieren konnte. Ich gewöhnte mir schnell an, alle Termine stets planmäßig abzuwickeln.
Aus diesem Grund kam seine Glückwunsch-Mail für mich so unerwartet – und hatte umso mehr Gewicht. Er hätte mir auch einfach den Knopf abschneiden, ihn auf den Monitor legen und sagen können: «Gut gemacht.» Doch er hatte es der ganzen Handelsabteilung mitgeteilt. Als Traditionalist schätzte er das Ritual, doch als Mensch gefiel es ihm auch, einem Anfänger ein gutes Gefühl zu geben.
Kapitel 3
Der Springbock schafft den Sprung
Eines Morgens, Anfang 2002, sagte Rudy zu mir: «Heute wird es unangenehm. Ein paar Leute kriegen ihren Marschbefehl.»
2002 war für Goldman ein schwieriges Jahr. Die Märkte waren nach dem 11. September massiv eingebrochen, und wir mussten Personal abbauen. Außerdem kursierte die Angst, dass Goldman Sachs zu klein sein könnte, um neben Banken wie JPMorgan Chase, Citigroup und der Bank of America zu bestehen, die mit ihren hohen Bilanzsummen umfangreiche Kredite an Unternehmen vergeben konnten, um Kunden zu gewinnen. Die Stimmung im Büro war gedrückt und angespannt. Wir spürten, dass unsere Vorgesetzten um ihre Jobs bangten. Und das nicht ohne Grund.
Marschbefehl – was für eine seltsame Ausdrucksweise, dachte ich. Ich hatte sie in diesem Zusammenhang noch nie gehört, wusste aber sofort, was gemeint war.
«Sie müssen sich aber keine Sorgen machen», meinte Rudy. «Kein Grund zur Panik.» Daraus folgerte ich, dass unser Drei-Mann-Team nicht gefährdet war. Dann beobachtete ich, wie einer nach dem anderen ins Büro des Managing Partners gerufen wurde.
Die Büros und Besprechungszimmer im achtundvierzigsten Stock hatten ausnahmslos Glaswände. Man konnte genau sehen, was in den Räumen vorging. Bei Goldman Sachs ist das überall so. Es ist Unternehmenspolitik, dass alle Büros in Handelssälen weltweit Glaswände haben.
Deshalb konnte ich ungehindert in das Büro hineinsehen, in dem der für den achtundvierzigsten Stock zuständige Partner und ein Vertreter der Personalabteilung mit den Entlassungskandidaten sprachen. Die «schmutzige Arbeit» musste der Partner selbst erledigen. Er – oder sie – musste dem Betreffenden in die Augen sehen und sagen: «Sorry, aber wir planen ohne Sie.» Mir blieb das glücklicherweise erspart, doch in den ersten Jahren nach dem 11. September hatte jeder von uns Angst davor.
Selbst die Partner waren dagegen nicht gefeit. 2002 entledigte sich die Firma etlicher Veteranen – Führungskräfte, die schon vor dem Börsengang Partner gewesen waren und mitunter jahrzehntelang zum Unternehmen gehörten. Sie mussten
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