Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
nichts dagegen, dass ich Nikki mitbringe?« Markus, wie immer
strahlend. »Ich dachte, Paula kocht doch immer so reichlich, da kommt es auf einen
mehr oder weniger nicht an.«
Die junge
Frau neben ihm schien verlegen. »Ich bin Nikki. Markus meinte … na ja, hoffentlich
macht das jetzt keine Umstände.«
Nein, natürlich
nicht. Paula hatte doch immer ein offenes Haus. Und die Herren waren doch bestimmt
entzückt, bei so einem hübschen Rotschopf.
Wie sich
herausstellte, war Nikki Teil des neuen Filmprojektes. Sie war Schauspielerin. Kein
Wunder, dass es schon beim Essen nur um Nikki und Markus und das brisante Drehbuch
ging. Warum hatte sich Paula bloß so viel Mühe mit den provençalischen Hühnchen
gemacht, wenn sie kommentarlos in den Bäuchen ihrer Gäste verschwanden?
»Also, es
geht um den Steine werfenden Minister. Wir müssen auf ein paar Zeitungsfotos und
Filmausschnitten aufbauen, ziemlich wenig Material, und daraus eine dramatische
Bildsequenz machen. Das soll der Anfang sein.« Markus sprach mit vollem Mund. »Der
Trailer, quasi. Von da aus entwickeln wir eine fiktive Story, mit Schauspielern,
eine Story, die 1968 beginnt und bis heute geht.« Er fuchtelte mit seiner Gabel
in der Luft herum. »Es wird aber nicht chronologisch erzählt, das wäre zu simpel.
Nein, wir machen das mit Schnitttechnik. Immer Versatzstücke aus der Gegenwart und
Versatzstücke aus der Vergangenheit, im Wechsel. Manchmal sogar mit Überblendungen.«
»Wer soll
denn den Minister spielen? Und welche Rolle bekommt Nikki?«
»Für den
Minister haben wir Magnus Hebenstraat vorgesehen, und Nikki soll seine damalige
Freundin spielen.« Markus tätschelte die Wange seiner Begleiterin. »Allerdings gibt’s
da noch Schwierigkeiten, von wegen der Figur. Nicht bei Nikki natürlich, sondern
bei Hebenstraat. Der Gute müsste für die Szenen, die Ende der Neunzigerjahre spielen,
ziemlich abnehmen, und das wird nicht ganz einfach sein. Das wird Zeit kosten.«
Alle lachten.
Keiner am Tisch hatte Gewichtsprobleme.
Die Diskussion,
die nun entbrannte, drehte sich natürlich um die moralischen Aspekte der Geschichte.
Konnte sich Deutschland einen Minister mit so einer Vergangenheit leisten? War die
Wandlung vom Saulus zum Paulus etwas Positives? Oder war das ein Verrat an der 68er-Idee?
Hatte die Macht ihn korrumpiert? Oder war er schlicht vernünftig geworden? Ein Realpolitiker?
Es ging
heiß her. Besonders Robert und Jule attackierten den Minister aufs Heftigste. »Blanke
Machtgier. Reine Geltungssucht.« Für sie hatte er die 68er verraten. Ausgerechnet
diese beiden.
Markus sah
das differenzierter, obwohl er damals ja auch zu dem Klüngel gehört hatte. Aber
das war auch gut so – wie hätte er sonst einen vernünftigen Film machen können?
»Wenn wir
uns die damalige Terroristenszene vor Augen führen …«
»Simon!
Willst du etwa behaupten, dass er ein Terrorist war?«
»Nein, natürlich
nicht, ich wollte etwas ganz anderes sagen. Ich wollte …«
Aber Paula
hörte gar nicht mehr hin. Sie ging auf ihn los, giftete ihn an, drehte ihm das Wort
im Munde herum.
»Sag mal,
was hackst du denn so auf dem armen Simon rum? Hier herrscht doch Meinungsfreiheit«,
sagte Markus schließlich. »Welche Laus ist dir nur über die Leber gelaufen?«
Wortlos
stand sie auf und verschwand in der Küche. Heiße Tränen brannten in ihren Augen.
Als sie
zurückkam, war das Ministerthema vom Tisch. Nikki stand jetzt ganz im Mittelpunkt.
Sie gab Anekdoten aus ihrer Schauspiellaufbahn zum Besten, und so banal die Geschichten
auch waren, die Herren schienen sich bestens zu amüsieren. Besonders Simon. Nikki,
30 Jahre jünger als Paula, gute fünf, sechs Pfund runder als Paula, Nikki machte
offensichtlich Eindruck auf ihn.
»Und dann
hab ich diese Reispampe gegessen, wie’s im Drehbuch stand. Und stellt euch vor,
keine fünf Minuten später – gerade war Ivor dabei, mit den Nahaufnahmen anzufangen
–, also keine fünf Minuten später war ich voller Pickel und Flecken. Könnt ihr euch
das vorstellen?« Sie riss ihre Kulleraugen auf. »Also, um es kurz zu machen, wir
mussten die Dreharbeiten abbrechen. Ich konnte zwei Wochen nicht am Set sein.«
Natürlich
war es eine Allergie. Nikki war gegen alles Mögliche allergisch, besonders gegen
asiatische Gewürze – Kardamom, Koriander, Kurkuma, Zitronengras et cetera. Na ja,
damit konnte man leben. Es könnte wirklich schlimmer sein. Eine Weißmehlallergie
beispielsweise.
Die Unterhaltung
dümpelte vor
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