Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
den Computer zurück. Tippte ›Gifte‹ ein. Oh, das war ja eine Riesenpalette. Aber
alles ziemlich abgegriffen. So lief das nicht. Sie gab ›Sisters in Crime‹ ein. Da
würde sie bestimmt fündig. Ob sie der Organisation beitreten sollte? Aber eigentlich
wollte sie ja gar keine Krimi-Autorin werden, ihr ging es um ganz andere Themen.
Dass in ihrem Roman verletzte Gefühle einer verschmähten Frau zu einem grandiosen
und wahrscheinlich tödlich endenden Racheakt führen sollten, das war ein Spezialfall.
Mit einem Krimi hatte das wirklich nichts zu tun.
Stunden
über Stunden saß Paula vor dem Bildschirm, zu den ›Sisters‹ hatten sich nun die
›Mörderischen Schwestern‹ gesellt, anscheinend die deutsche Sektion des Clubs. Draußen
war es schon längst dunkel. Sie rieb sich die Augen. Schluss jetzt, das hatte keinen
Zweck mehr. Sie füllte Oliven in ein Schälchen, schnitt Käsewürfel und ein paar
Scheiben Ciabatta ab und setzte sich mit einem Glas Rotwein in den Sessel. Sie fror.
Das Beste war wohl, gleich ins Bett zu gehen. Und dann morgen ganz früh wieder ran
an den Text.
Kaum war
sie eingeschlafen, schrillte das Telefon.
»Jaaa?«
Keine Antwort.
»Hallo?
Hallo?«
Schon wieder
nur Atmen. Und wieder aufgelegt.
Nun saß
sie senkrecht im Bett. Spionierte da einer das Haus aus? Hatte da jemand mitbekommen,
dass sie allein war?
Und Robert
ließ es sich auf Teneriffa gut gehen.
Zwei Anrufe
später erwog sie, die Polizei einzuschalten. Aber nur kurz. Sie hörte nämlich schon
die Antwort. Nein, da könne man nichts machen, das tue ihnen leid. Fangschaltungen
gebe es nur bei Erpressungsversuchen. Genau das würden die sagen.
Am nächsten Vormittag klingelte
es. Paula ging an die Haustür. Da stand der Fleurop-Mensch mit einer riesigen, dick
vermummten Pflanze. Nein, es war keine Karte dabei. Nein, er konnte nicht sagen,
wer die Bestellung aufgegeben hatte. Er schüttelte den Kopf.
Paula hasste
Topfpflanzen, ganz besonders Weihnachtssterne. Und ein riesiger roter Weihnachtsstern
war es denn auch, den sie aus den verschiedenen Papierschichten schälte. Ob der
womöglich von Simon kam? Als Wiedergutmachung? Aber Simon wusste doch ganz genau,
was sie von Topfpflanzen hielt.
Sie packte
das Monster, ging hinaus und stopfte es in den Müllcontainer.
»Was machen
Sie denn da mit der hübschen Pflanze?«
»Was geht
Sie das an? Passen Sie lieber auf, dass Ihr Hund nicht auf den Gehweg scheißt.«
Paula drehte
sich auf dem Absatz um und knallte die Tür hinter sich zu.
Sie hatte ihn beim Stehlen
kennengelernt, als sie durch Karstadt gestiefelt war, auf der Suche nach einem fliederfarbenen
Schal. Aber zu spät. Flieder war schließlich die Farbe der Saison. Und Lindgrün
oder Gelb kamen nicht in Frage, und schon gar nicht Rot. Bevor sie hier unnütz Zeit
vergeudete, fuhr sie besser wieder heim. Aber ein neuer Wecker stand noch auf ihrer
Liste, wenigstens das konnte sie noch erledigen.
Ah ja, da
drüben, wo dieser gutaussehende Mann mit dem kleinen Jungen stand. Sie steuerte
hinüber. Doch plötzlich stockte sie. Oh oh. Was taten die zwei dort? Klauten die
etwa?
Aber Paula konnte nicht zulassen,
dass ihre Heldin den Kaufhausdetektiv herbeizitierte. Dazu war der Mann entschieden
zu attraktiv. Vielmehr musste es zu einer Annäherung kommen, bei der der Funke übersprang.
Von beiden Seiten natürlich. Sie schrieb und schrieb bis tief in die Nacht, und
selbst im Traum spann sie die Geschichte fort, hin zu einer veritablen Amour fou.
Sie saßen im ›Theatro‹ und
lächelten und redeten und lächelten und schwiegen. Er hatte das Café Knigge vorgeschlagen,
aber da hatte sie abgeblockt. Ach bitte nicht ganz so hanseatisch. Sie liebte die
Kulturmeile und das Viertel, die lockere und unkonventionelle Atmosphäre. Also hatten
sie sich dort verabredet, dieses Mal allerdings ohne Tommy. Inzwischen wusste sie,
dass Moritz Claussen geschieden war, dass sein Sohn bei der Mutter lebte und er
ihn nur zu festgelegten Besuchszeiten sehen konnte. Und sie wusste jetzt auch, dass
er Psychiater war.
Warum klaute
ein Psychiater? Und warum zog er auch noch seinen kleinen Sohn mit hinein?
Sie hatte
keinen Moment erkennen lassen, dass sie den Ladendiebstahl mitbekommen hatte. Ob
er eine Art moderner Robin Hood war? Oder vielleicht war das Ganze ein Gag? Ein
Test? Ein Psycho-Spiel?
Gerade mal sechs Uhr war es, als
Paula die Tür aufschloss, um den ›Weser-Kurier‹ aus der Zeitungsröhre zu nehmen.
Sie
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