Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
Vom Netzwerk:
seine Venus.«
    Sie wurde rot. Isabelle wurde rot. Das hatte ich noch nie gesehen.
    »Auch wenn du rot bist.«
    Sie wurde noch röter. Ich musste lachen. Wer viel fragt, kriegt viele Antworten.
    »Du bist ein schlimmer Charmeur.«
    »Aber auch ein sehr netter Charmeur.«
    »Ja«, sagte Isabelle langsam. »Sehr nett.«
    »Darf ich dich auch etwas fragen?«
    »Natürlich.«
    »Warum bist du hier?«
    Diese Frage überraschte Isabelle. Sie überlegte einen Moment. Sog die Unterlippe ein und biss darauf.
    »Weil ich die Kunst fast ebenso sehr liebe wie das Abenteuer«, sagte sie dann.
    Er lächelte zur Antwort.
    »Darf ich dich auch noch etwas fragen?«, sagte sie.
    »Das war schon eine Frage.«
    »Dann noch eine.«
    »Du darfst mir so viele Fragen stellen, wie du möchtest.«
    »Kannst du Fahrräder reparieren?«
    »Nein«, erwiderte er.
    »Nicht?«
    »Nein.«
    Oh weh. Ich dachte an den armen Jacques, der einst wegen mangelnder Reparaturkenntnisse in die Wüste geschickt worden war. Nach einer kurzen Pause sah Isabelle ihm in die Augen.
    »Das macht nichts«, sagte sie dann.
    »Wenn du meinst«, sagte er.
    Sie sahen einander an, und er küsste sie noch einmal. Lange diesmal. Ich starrte Löcher in die Luft.
    »Deine Zunge fühlt sich an wie ein Stück Pfirsich«, sagte sie, als sie ein Stück von ihm abgerückt war, und sah ihn prüfend an.
    »Magst du Pfirsich?«, fragte er.
    »Ich liebe Pfirsich.«
    Es widerspricht meiner Diskretion, weiter ins Detail zu gehen. Ich versuchte so gut wie möglich, nicht hinzusehen und auch nicht weiter hinzuhören. Als sie sich schließlich eng aneinander schmiegten und sich in Isabelles Schlafsack zwängten, fiel ich aus dem Bett. Und das war gut so.
    Es war die erste Nacht seit langer Zeit, die ich allein auf einem kalten Boden verbrachte, unbeachtet und nicht vermisst. Aber auch das war gut so, denn ich wusste, dass Isabelle glücklich war. Und was gibt es Wichtigeres für einen Bären, bester Freund und Helfer?
    Am nächsten Morgen hob Isabelle mich auf. Gianni schlief noch, hielt sie von hinten eng umschlungen und atmete in ihren Nacken.
    »Mir ist heute Nacht fast schwarz vor Augen geworden, Mon ami«, flüsterte sie. »Weißt du, was das heißt?«
    Wenn er Fahrräder reparieren könnte, wäre er der Richtige.
    »Ich glaube, er ist der Richtige«, flüsterte sie weiter.
    »Mit wem sprichst du denn da?«, murmelte Gianni schlaftrunken.
    »Avec Mon ami«, antwortete sie leise.
    »Ach so. Dein Bär.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich habe neulich bei ihm um deine Hand angehalten.«
    Isabelle versuchte, sich zu Gianni umzudrehen.
    »Keine Sorge, er hat zugestimmt«, sagte er, mit noch immer geschlossenen Augen.
    »Da bin ich aber froh. Das hat er noch nie getan.«
    Sie kicherten und küssten sich den Schlaf aus den Gesichtern.
    Diese beiden Notlügen ließ ich gerne gelten. Im Stillen gab ich ihnen meinen Segen.
    In jener Nacht hatten die beiden Engel des Schlamms eine Wolke bestiegen und segelten nun davon. Ich konnte von Glück sagen, dass ich mit auf diese Reise durfte – als Einziger. Sie erhoben sich weit über die feuchte Kälte der alten Gemäuer, weit über das Chaos. Und ich bemerkte, dass sich Isabelles Abenteuerlust von der Rettung der Kultur mehr und mehr auf die Entdeckung von Gianni und Florenz verlagerte. In jeder freien Minute stahlen sich die beiden davon und verschwanden in den Straßen und Gassen, wo sich Abfall und Mobiliar türmte, wo Scherben herumlagen, wo Geschäftigkeit herrschte. Sie schienen dort eine andere Romantik zu finden, als man sie sonst in Florenz suchte. Sie bestaunten den morbiden Charme des Verfalls, sie bestaunten einander und schienen nicht genug davon zu bekommen, dem anderen in die Augen zu sehen, des anderen Hand zu fühlen, wenn sie gemeinsam die Hochwasserränder an Häuserwänden betrachteten, die umgeknickten Schilder an der Piazza dei Giudici oder den kleinen See, der sich zwischen den Uffizien und dem Palazzo Vecchio gebildet hatte.
    »Es ist schade, dass wir keine Kamera haben«, sagte Gianni eines Abends. »Es gäbe so viel zu fotografieren.«
    »Ich habe gezeichnet, was ich gesehen habe«, sagte Isabelle.
    »Zeigst du mir deine Bilder?«
    »Sie sind nur für den privaten Gebrauch.«
    »Bin ich nicht privat?«
    »Doch, aber …«
    »Bitte.«
    Sie holte ihren Skizzenblock hervor, und er blätterte langsam von Bild zu Bild.
    »Das bin ja ich«, sagte er plötzlich überrascht.
    »Sieht so aus.«
    »Du steckst voller

Weitere Kostenlose Bücher