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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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Sie bannte nur auf Papier, was ihr bedeutsam erschien.
    Offenbar war mir etwas entgangen. Isabelles Herz hatte klammheimlich und im Stillen eine Kurskorrektur vorgenommen, und ich hatte es nicht bemerkt.
    Es gehört sich nicht, Geheimnisse vor deinem Bären zu haben! Ich bin schließlich dein Vertrauter. War er es, der dir neulich Morgen nachgeschaut hat? Ich habe doch einen Blick bemerkt. War er es, der Stefano vertrieben hat?
    Isabelle verriet mir nichts. Doch dieser neue Kurs schien so geheim, dass sogar Isabelle selbst erst bemerkte, wohin sie steuerte, als sie schon längst auf dem Weg war.
    Vielleicht hatte die Episode mit Stefano sie vorsichtiger werden lassen. Möglicherweise traute sie ihren Gefühlen nicht mehr. Mich beschlich der Verdacht, dass ihr Herz den Plan, die Liebe vorläufig an den Nagel zu hängen, bereits wieder aufgegeben hatte. Jetzt musste nur noch ihr Verstand überzeugt werden.
    Meinetwegen konnte sich ihr Verstand ruhig noch eine Weile Zeit lassen, doch sicherheitshalber richtete ich mich mit gemischten Gefühlen auf einen neuen Eindringling in meinem Revier ein.
    Jeden Abend lag sie neben mir und fuhr mit dem Daumen über meinen Trostpunkt. Gleich sagt sie es, dachte ich dann. Gleich sagt sie: »Mon ami, ich glaube, ich bin verliebt.«
    Doch es passierte nichts. Sie schwieg, und ihr Verstand blieb alten Vorhaben treu. Unter Umständen war sie auch einfach zu erschöpft, um verliebt zu sein – falls so etwas möglich ist, das kann ich natürlich nicht beurteilen.
    Doch einmal wachsam geworden, entgeht einem Bären natürlich nichts.
    Gianni sah manchmal zu Isabelle herüber, wenn abends alle todmüde und starrend vor Schmutz ins Bett kippten. Während ich verzweifelt nach frischer Luft schnappte und mit der Nase über dem Schlafsackrand versuchte, Isabelles zunehmendem Geruch zu entkommen, sah ich genau, wie sein müder Blick in unsere Richtung wanderte und auf Isabelles wirrem Haarschopf verweilte, bis schließlich auch ihm die Augen zufielen. Dabei blieb es.
    Was war denn hier los? Was war denn aus der Isabelle geworden, die auf jedes Ziel, das sie sich gesteckt hatte, zurauschte wie eine Welle auf den Strand? Hatte ich mich getäuscht? Hatte die Bärenintuition versagt?
    Und was war mit mir los? Ich ertappte mich dabei, dass ich hoffte, es möge sich etwas ereignen. Doch ich sah die beiden nie zusammen, keine langen Blicke über Alutöpfen mit Nudeln, keine zufälligen Berührungen beim Abendessen. Nichts. Nichts, was ein Bärenherz zum Klopfen gebracht hätte.
    Irgendwann war der gröbste Schlamm beseitigt. Doch die Arbeit wurde dadurch nicht weniger. Die Wände waren feucht geworden, wie überhaupt alles feucht wurde. Selbst mein Fell fühlte sich klamm an, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass auch mein Innerstes irgendwie muffig war. Sicher war dieses Klima meiner Lebensdauer nicht gerade zuträglich.
    Isabelle wurde zum Trocknen eingeteilt. Die Wände wurden mit Talkum behandelt, das die Feuchtigkeit aufnehmen sollte. Statt schlammschwarz kam sie nun kalkweiß ins Bett. Es hing in allen Poren, Kleidern und in den Haaren. Sie sah aus wie ein Gespenst. Und erst da, als der Dezember schon in seine dritte Woche ging, flüsterte mir das Gespenst die schon lange erwarteten Worte ins Ohr.
    »Mon ami, ich glaube, ich bin verliebt. Ich kann nichts dagegen tun. Ich habe versucht, mich zurückzuhalten, aber mein Herz macht einfach, was es will.«
    Hab ich’s doch gewusst.
    »Es ist Gianni. Der Italiener aus Reihe 34.«
    Wir schliefen Reihe 31.
    »Was soll ich denn jetzt machen? Ich kann doch so schlecht Italienisch.«
    Ich würde dir helfen, wenn ich nur könnte.
    »Er ist so aufmerksam. Und ich glaube, er ist auch ein winziges bisschen verrückt.«
    So wie du?
    »So wie ich.«
    Hm.
    »Und außerdem glaube ich, dass er mich auch mag.«
    Das kann ich dir schriftlich geben.
    »Er hat ein so schönes Lächeln«, sagte sie verträumt und schloss die Augen.
    Sekunden später, als ich schon dachte, sie wäre eingeschlafen, öffnete sie die Augen noch einmal und murmelte: »Und wenn er nun ist wie Stefano?«
    Nie im Leben. Bärenintuition.
    »Aber das glaube ich nicht«, versuchte sie ihre eigenen Bedenken zu zerstreuen, »wozu gibt es weibliche Intuition.«
    Dann war sie eingeschlafen.
    Ich wünschte ihr die schönsten Träume und passte auf, dass niemand sie störte.
    In kleinen Gesten und wenigen Worten hatte Isabelle zu einem Gefühl gefunden, dem sie schon seit Jahren nachjagte, wie ein

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