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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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Asthma. Doch das hinderte sie nicht daran, jetzt erst richtig Gas zu geben.
    Ich war nicht der Einzige, der diese Entwicklung besorgt betrachtete. Auch Jules und Hélène warfen ihrem Nesthäkchen lange Blicke zu, die überflossen vor Sorge und Fürsorge. Doch Isabelle revoltierte. Gegen alles. Dass ich nicht in Ungnade fiel, ist einzig und allein dem Umstand zu schulden, dass ich mich nicht äußern konnte – so gesehen endlich mal ein Vorteil dieses ansonsten so nutzlosen Zustandes.
    Ein Ruck war durch Isabelle gegangen. Eines Morgens war sie aufgewacht, und aus der Sehnsucht nach Gianni und der Traurigkeit, die um ihren Mund gelegen hatte, war wilde Wut geworden.
    Früher als geplant, bereits im Oktober 1967, ging sie zurück nach Paris.
    »Ich halte dieses spießbürgerliche Getue hier nicht mehr aus«, warf sie ihrer Mutter an den Kopf, die sie verzweifelt ansah.
    »Ich verstehe dich nicht. Wir wollen doch nur das Beste für dich!«
    »Dann wählt einen anderen Präsidenten! Und sorgt dafür, dass es nie wieder Krieg gibt.«
    »Ach, ma belle, du weißt genau, was ich meine!«
    »Nein. Schluss mit ma belle. Ich fahre zurück nach Paris. Maman, ich bin erwachsen, ich weiß, was ich tue. Ich will mein Studium abschließen.«
    Hélène schüttelte den Kopf, Jules starrte aus dem Fenster, und sie ließen uns ziehen.
    Isabelle kämpfte.
    Sie kämpfte gegen die Leere in ihrem Herzen, und es gab genug Mittel, diese Leere zu füllen. Das neue Jahr hielt ausreichend Gelegenheit bereit, seiner Seele Luft zu machen. Die große Revolution der Studenten an der Sorbonne kam Isabelle da gerade recht. Alles, was schon lange in ihr gebrodelt hatte, kochte jetzt über. Sie erkannte, dass sie nicht die einzige Wütende war. Sie stand mit ihrer Meinung nicht allein, Tausende andere waren ebenfalls bereit, gegen verknöcherte Strukturen und für mehr Freiheit auf die Straße zu gehen. Man konnte Parolen schreien, Pflastersteine werfen, demonstrieren und debattieren. Sie tat all das mit Leidenschaft.
    Ob ich das gut fand? Was soll ich sagen? Ich saß in unserem Zimmerchen über der Papeterie in der Rue Racine, unweit der Place d’Odéon, und schaute ängstlich aus dem Fenster. Ich sah, wie Studenten aus Pflastersteinen und gefällten Bäumen Straßenbarrikaden errichteten und dafür von der Polizei mit Tränengas bestraft wurden. Ich sah, wie sie Autos anzündeten und Plakate an die Wände klebten und von Hundertschaften der Gendarmerie verfolgt wurden. Sie wollten sich ihren Willen nicht von der Obrigkeit brechen lassen.
    Kann man das als friedliebender, einfacher Bär gut finden?
    In diesen Tagen lag etwas Unbändiges in der Luft. Der Wille, sich aufzulehnen. Ich wusste nicht, woher das kam. Ich kannte die Zusammenhänge nicht und verstand nichts von der herrschenden Politik, doch ich spürte, dass die jungen Leute dabei waren, ihre Realität selbst zu bestimmen.
    Um mich herum flogen die Schlagworte wie Kanonenkugeln, von den Häuserwänden hallten sie zu mir herauf. Revolution, Freiheit, Gemeinsamkeit, Kapitalismus, Anarchismus, Vietnam, Staatsmacht, Links, Rechts, Mao, Che. Alles Worte, die die Menschen aufstachelten, sie aufrührerisch stimmten und sie die Fäuste ballen ließen.
    Es machte wenig Sinn, sich nach den alten Zeiten zu sehnen, in denen Isabelle mich im Fahrradkorb durch die frische Mailuft gefahren hatte, nichts anderes im Sinn, als zu spielen.
    Sie lud ihre Freundinnen auch nicht mehr zum Musikhören zu sich nach Hause ein, sondern um Transparente zu fertigen. Die Zeiten hatten sich geändert und wir uns mit ihnen.
    »Hast du die Kundgebung gehört?«, fragte Isabelle, während sie in roter Farbe Unter dem Pflaster liegt der Strand auf ein altes Betttuch malte.
    »Natürlich. Dany le Rouge war phantastisch. Er bringt die Dinge immer auf den Punkt.«
    »Ich fand es toll, wie er gesagt hat, dass wir den Bruch zwischen marxistischer Theorie und kommunistischer Praxis aufheben wollen«, schwärmte Isabelle. »Besser kann man es nicht ausdrücken.«
    »Genau. Ich finde es ungerecht, dass die Spießer ihn als Aufwiegler bezeichnen. Das hat doch alles Hand und Fuß«, sagte die rothaarige Céline. Sie breitete unser einziges Tischtuch vor sich aus und fragte dann:
    »Soll ich Seid Realisten, verlangt das Unmögliche schreiben, oder lieber Es gibt keine Kunst, die Kunst bist du!?«
    »Lieber das mit den Realisten«, antwortete Isabelle. »Das ist griffiger.«
    Céline machte sich ans Werk.
    Ich gebe zu, diese Parole

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