Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)
da?
»Du bist ein merkwürdiger Kerl«, hörte ich sie flüstern.
He, das kann dir doch egal sein! Das ist Isabelles Mann! Finger weg!
Wie naiv ich gewesen war! Francesca hatte ihn keineswegs aus Edelmut hierhergebracht. Gianni war eine ihrer Eroberungen. Mir wurde heiß und kalt.
Gianni erhob sich und stellte sich vor sie. Er strich ihr eine Strähne aus der Stirn.
Moment mal!
»Wohnst du allein hier?«, fragte er.
»Nein«, antwortete sie und ging zum Herd, wo der Kaffee bereits leise blubberte. »Ich teile mir die Wohnung mit zwei anderen Mädchen.«
Er sah sich in der Küche um, berührte mit leichter Hand die vertrockneten Blumen in der Vase und kam zum Regal.
Er sah mich an.
Ich bin’s!
Giannis Mund öffnete sich langsam. Seine Augen wurden größer, dunkler. Er warf einen schnellen Blick über die Schulter zu Francesca, doch die war mit den Tassen beschäftigt.
Sieh mich an, Gianni! Ich bin’s, Henry Mon Ami Marionnaud. Du kennst mich.
Er hob die Hand und griff nach mir. Die Bücher, die sich von links an mich lehnten, rutschten polternd gegen die Kaffeedosenhaushaltskasse.
Francesca sah auf, Gianni starrte mich an. Sein Daumen fuhr prüfend über meinen Bauch, den Trostpunkt, er befühlte mein Ohr.
Ja. Ich bin’s, ich bin’s. Sag, dass du mich kennst!
»Ach, der alte Bär«, sagte Francesca leichthin. »Der passt auf unser nicht vorhandenes Geld auf.«
»Hat er einen Namen?«, fragte Gianni leise, während sein Daumen pausenlos weiter über meinen Bauch rieb.
»Er gehört mir nicht. Aber Isabelle nennt ihn Mon ami.«
»Ah«, sagte Gianni, und ich sah, wie hinter seiner Stirn ganze Gedankenwelten bebten.
Mehr hast du dazu nicht zu sagen?
»Kaffee ist fertig«, sagte Francesca.
Gianni nickte. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Dann schlug er sich mit der flachen Hand vor die Stirn und sagte:
»Ich habe ganz vergessen, dass ich noch eine wichtige Verabredung habe. Entschuldige. Ich muss los. Wir sehen uns, ja?«
Gianni, du bist ein schlechter Schauspieler!
Er war völlig verwirrt, als er mich auf den Tisch setzte. Aus dem Flur rief er noch »Mach’s gut!«, dann floh er aus der Wohnung.
Francesca sah ihm überrumpelt nach, setzte sich an den Tisch und betrachtete mich.
»Versteh einer die Männer«, sagte sie und nahm einen Schluck Kaffee.
Ich weiß nicht, wie er es anstellte. Vielleicht lauerte er ihr auf, vielleicht ließ er es wie eine zufällige Begegnung erscheinen, vielleicht bat er Francesca darum, ein Treffen zu vermitteln. Ich weiß es nicht. Eines aber weiß ich sicher: Isabelle erfuhr nicht, dass Gianni bei uns zu Hause gewesen war und mich wiedererkannt hatte, weder von ihm noch von Francesca. Sie glaubte an Schicksal und Fügung und an weiß der Himmel was sonst noch, als sie zwei Wochen später wieder in Giannis Armen lag. Sollte sie es ruhig glauben. Irgendwie stimmte es ja auch.
Als ich schon befürchtete, er würde nie wieder kommen, hätte vor der Vergangenheit, vor den dreieinhalb Jahren, die seit Florenz vergangen waren, vor dem Schweigen dieser Zeit endgültig die Flucht ergriffen, kam Isabelle doch noch mit ihm im Schlepptau zur Tür herein. Und am Abend flüsterte sie mir endlich wieder die lang vermissten Worte ins Ohr.
Es war ein Sommer, in dem der Himmel voll Geigen hing, die Vögel sangen Liebeslieder von den Dächern, Rom erblühte rosarot, und wir waren alle drei unendlich glücklich. Und ich gebe zu, ich war unglaublich stolz, klammheimlich die entscheidenden Fäden gezogen zu haben, ohne dass es jemand bemerkt hatte. Ich war eben Isabelles bester Freund. So einfach war das.
Damals wusste ich nicht, dass dies die letzte große Tat sein sollte, die ich für sie vollbrachte. Aber es war die entscheidende. Sie veränderte Isabelles Leben. Heute tröste ich mich damit, dass Isabelle mich niemals vergessen wird, auch wenn sich unsere Wege trennten. Und auch Gianni wird sich immer an das Gefühl erinnern, das in seiner Brust tobte, als er mich erkannte, damals in der kleinen Küche in der Via Claudia. Niemand, der geliebt wurde, wird vergessen, auch nicht ein Bär.
Der Rest ist schnell erzählt. Sie heirateten in einer kleinen Kirche in Rom, Isabelle war die schönste Braut der Welt, die strahlendste (auch wenn sie vor lauter Aufregung auf die Frage des Priesters »Nella salute come nella malattia fino a che morte non vi separi?« »Wie bitte?« und nicht »Lo voglio!« antwortete, wie später immer wieder unter Lachtränen erzählt wurde), und
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