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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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als sie widerspruchslos zehnfach zurückzugeben.
    Jede Angst, in der man mich drückt, ist so durchdringend, wie Furcht nur sein kann. Und von mir wird nicht weniger erwartet, als sie augenblicklich zu lindern und zu trösten.
    Mir hat niemand je Theater vorgespielt, niemand hat mir je gefallen wollen, niemand hat mich je belogen.
    Man muss schon ein Bär sein, um ehrliche Antworten zu bekommen – aber getröstet wird man nie.

ZUM TROST
    I ch saß mit dem Rücken an den Messingfuß der Tischlampe gelehnt. Über mir erhob sich der gelbe Lampenschirm. Ich hielt Nachtwache.
    Die meisten Gäste waren bereits zu Bett gegangen, nur draußen auf der Terrasse saß noch die alte Dame und schaute hinunter auf die Stadt. Tagsüber wie nachts war das ein herrlicher Anblick. Ich konnte verstehen, dass die Menschen hierherkamen, um Frieden zu finden, um dem Alltag zu entfliehen und sich verwöhnen zu lassen.
    Es würde ruhig bleiben in dieser Nacht. Wie es eigentlich in jeder Nacht ruhig geblieben war, seit ich die Rezeption der kleinen Pensione Bencistà bewachte.
    Signore Simoni hatte mir das Licht angelassen – vielleicht damit ich mich nicht so einsam fühlte, aber sicher auch, damit die Gäste im Dunkeln nicht über Läufer und Teppichränder fielen. Er hatte seinen Rundgang gemacht, hatte routiniert die Türen kontrolliert. Er hatte die Katze nach draußen gescheucht und dem Kanarienvogel Wasser gegeben, hatte den Finger in den Topf des Ficus am Fenster gehalten und geprüft, ob die Erde noch feucht genug war. Dann war er hinter den Rezeptionstisch aus schwerem Mahagoniholz getreten, hatte die Arbeitsfläche frei geräumt und einen prüfenden Blick über den Schlüsselschrank hinter sich geworfen, wo sich unter kleinen weißen Nummernschildchen jeweils ein Fach für Nachrichten oder Post befand. Alle Fächer waren leer. Dann hatte er die anderen Lichter gelöscht.
    »Ja, ja«, hatte er gemurmelt. »Dann hätten wir so weit alles.«
    Er ging hinaus auf die Terrasse. Ich hörte seine Stimme:
    »Buonasera, Signora Bartoli, ist alles in Ordnung? Ist Ihnen nicht zu kalt?«
    »Oh, Signore Simoni«, sagte die alte Dame überrascht. »Nein, ich friere nicht. Es ist alles in Ordnung. Ich werde nur noch ein wenig hier sitzen bleiben.«
    »Wie Sie wünschen. Ich lasse ein Licht für Sie an.«
    »Grazie.«
    »Buonanotte.«
    Dann senkte sich die Stille über das große Haus. Durch die offenen Fenster hörte man die Grillen zirpen. Es war eine laue Nacht, in der kaum ein Wind ging. Der August neigte sich dem Ende zu.
    Es passte, dass ich in diesem alten Haus in Fiesole, in diesen Gemäuern, die voller Geschichten steckten, das ruhige Leben eines Hotelteddys führte. Die wilden Zeiten schienen vorbei. Vor einem Monat war ich sechzig Jahre alt geworden. Innerlich hatte ich mir zugeprostet und auf die Schulter geklopft.
    Sechzig – ob Alice noch lebte? Sie musste jetzt schon über achtzig sein. War es schon so lange her, dass wir in Bath zusammen auf dem Sessel saßen und über William redeten?
    Sechzig – schon ein Grund, ein bisschen nostalgisch zu werden, und nicht gerade ein Alter, in dem man sich wünscht, immer wieder von vorn zu beginnen. Auch nicht als Bär. Man wünscht sich Beständigkeit, Übersichtlichkeit und ein wenig Ruhe, und trotzdem will man nicht zum Altenteil gehören, sondern eine Aufgabe haben.
    Ich hatte eine Aufgabe. Sie bestand darin, die Gäste der Pensione Bencistà willkommen zu heißen, ihnen den Empfang so freundlich wie möglich zu gestalten und ihnen ein Lächeln zu entlocken, sobald sie unser Haus betraten. Mir war mit anderen Worten eine wichtige Aufgabe zuteil geworden, die mich einigermaßen darüber hinweggetröstet hatte, dass Isabelle vor inzwischen fünf Jahren endgültig beschlossen hatte, eigene Wege zu gehen – ohne mich.
    Es war keine Überraschung gewesen. Wenn ich ehrlich bin, hatte es sich abgezeichnet. Dennoch hatte ich in all jener naiven Bärenhoffnung die Phantasie gehegt, ich könnte bis ans Ende meiner Tage Mon ami Marionnaud sein und Isabelle und ich würden zusammen bleiben, bis dass der Tod uns schied. Doch das hatte sie jemand anderem versprochen, und vielleicht kann so ein Satz auch nur einmal gelten. Ich weiß es nicht.
    Isabelle war auf die Barrikaden gegangen, damals, nachdem Gianni aus ihrem Leben verschwunden war. Von Florenz war in ihrer Erinnerung nichts weiter geblieben als ein Scherbenhaufen. Die Lungenentzündung hatte jedoch ihre Spuren hinterlassen: Isabelle bekam

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