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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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der Russe würde sein Fett wegkriegen. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt weder, wer besagter Tommy war, noch was es mit dem Russen auf sich hatte, aber mir gefiel der Ton dieser Prahlereien überhaupt nicht.
    Während dieser ganzen Zeit hatte ich Friedrich vielleicht zwei Mal zu Gesicht bekommen. Ich kannte von ihm nichts weiter als seinen Geruch und seine Stimme, und ich weiß, dass man sich kein vorschnelles Urteil über Menschen bilden soll. Aber ich konnte ihn nicht leiden. Ich wollte ihn nicht leiden können.
    Es war genau so gekommen, wie die Bouviers und alle anderen befürchtet hatten: Die Deutschen hatten alles erobert und sich nach Lust und Laune an Frankreich bedient, ohne zu fragen oder zu bezahlen. Friedrich war gekommen und hatte sich bedient, ohne zu fragen oder zu bezahlen. Und wahrscheinlich tat er auch jetzt jeden Tag das Gleiche, in anderen Läden und anderen Häusern. Ich konnte mir das lebhaft vorstellen.
    Friedrich verkörperte all das Schlimme, was meine französischen Freunde so geängstigt hatte. Er war einer von vielen grau-grünen Soldaten, ein Teil eines vielköpfigen, hirnlosen und gefährlichen Gebildes, und verhielt sich entsprechend: Wenn er vor seinem Offizier salutierte, schrie er in einer entmenschlichten Stimme laut den einzig geltenden Gruß: »Heilittla!« – Was auch immer das heißen sollte.
    Ich hoffte inständig, dass sich irgendetwas ereignen würde, das mich aus meiner Zwangslage befreite. Eine Verlegung, eine Truppenbewegung, ein Unfall – irgendetwas. Es war eine schlimme Vorstellung, dass ein Deutscher mein Besitzer war.
    Friedrich öffnete den Rucksack, in den er schon seit Monaten nicht mehr hineingeschaut hatte, und streckte tastend seine Hand hinein:
    »Wo ist denn dieser dumme Bleistift …«, murmelte er, und seine Hand erwischte mein linkes Ohr. Verwundert hielt er inne, tastete erneut und zog mich dann ans Tageslicht. Es blendete. Ich sah in Friedrichs Gesicht.
    »Ach, du bist ja auch noch da!«, sagte er.
    In der Tat. Ich habe nicht die Angewohnheit davonzulaufen.
    »Dich hatte ich ja ganz vergessen.«
    Er legte mich neben sich aufs Bett und kramte weiter.
    »Irgendwo muss doch dieser vermaledeite Stift sein!«, schimpfte er leise.
    Ich habe die ganze Zeit drauf gesessen.
    »Ach, da haben wir ihn ja.«
    Friedrich ließ sich aufs Bett fallen.
    »Jetzt schreiben wir nach Hause, mein Freund«, sagte er. »Meine Marlene wird Augen machen!«
    Ich bin nicht dein Freund. Und mein Zuhause gibt es nicht mehr. Du hast es kaputtgemacht.
    »Wir schreiben ihr einen Liebesbrief.«
    Ich horchte auf.
    Einen Liebesbrief? Dass ich nicht lache. Was soll denn da drinstehen?
    »Und wir schreiben ihr, dass sie schon mal das Bettchen vorwärmen soll«, fuhr er fort, und seine Stimme klang dabei richtig fröhlich.
    Merkwürdig. Der Gedanke, dass Deutsche Liebesbriefe schrieben, war mir bislang nicht gekommen. Mir war nicht mal in den Sinn gekommen, dass diese Männer Frauen und Familie haben könnten, dass sie ein Zuhause hatten, geschweige denn, dass sie auch nur ahnten, was Liebe war. Das Leben, das wir hier führten, war so entartet – für Liebe war hier kein Platz.
    Ich nutzte die Gelegenheit, mich umzuschauen. Friedrich bewohnte ein schmales Feldbett, auf der grauen Decke lagen seine Uniformjacke und seine Schiffchenmütze und neben dem Kopfkissen eine Fotografie. Marlene, schloss ich messerscharf. Sie sah zugegebenermaßen recht ansprechend aus. Hübsch eigentlich.
    Jetzt hatte ich auch Gelegenheit, mir diesen Fritz mal anzusehen. Er war kein blonder Hüne, eher klein, mit Ansatz zum Bauch. Seine Augen waren grün und verschwanden hinter dichten Wimpern. Auf der rechten Wange hatte er ein Grübchen. Wie ein Monster sah er nicht aus, das musste ich zugeben.
    Friedrich schob mich zur Seite, legte sich auf dem Bauch zurecht und setzte den Bleistift an. Leise wisperte er jedes Wort, das er in seiner krakeligen Handschrift aufs Papier brachte.
    Marlene, mein Liebchen. Lies und staune! Ich komme!
    Mein Liebchen? Ich war skeptisch.
    Wir werden abgezogen, schon übermorgen verlässt unsere Einheit Paris. Mein Urlaub ist außerdem schon jetzt genehmigt worden, obwohl ich in dieser Urlaubsrate erst auf Nummer 117 gesetzt war. Acht Tage ab dem zehnten. Ich kann Dir gar nicht beschreiben, wie sehr ich mich freue, Dich endlich wieder in die Arme zu schließen. Hier in Paris habe ich nicht viel zu tun. Es wird schön sein, wieder in Bewegung zu kommen. Wie sieht es denn bei Euch in Köln

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