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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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Charlotte zu suchen. Sie hatten es doch versprochen.
    In dunklen Stunden hatte ich unterstellt, dass sie Marlene und Charlotte vergessen hatten. Doch eigentlich wusste ich es besser. Franziska hatte ein paar Versuche unternommen, bei Bekannten aus Köln etwas in Erfahrung zu bringen, war jedoch kläglich gescheitert. Das Chaos war einfach zu groß gewesen und die Kraft zu gering. Oder der Mut. Jetzt hatte Frau Finster den Ball ins Rollen gebracht.
    Am Abend herrschten tumultartige Zustände im Hause Rosner. Alle redeten durcheinander. Schließlich ergriff Fritzi das Wort.
    »Wir werden natürlich antworten!«, sagte sie energisch. »Ich mache das.«
    Das Schreiben war schnell aufgesetzt. Franziska klebte den Umschlag zu und schrieb die Adresse des DRK-Suchdiensts in München darauf. Sie drückte einen Kuss auf das Kuvert.
    »Marlene. Ich hoffe, du bist es. Ich hoffe es so sehr.«
    Was sollte ich denn sagen?
    Die Zeit des Wartens begann.
    Doch es war kein stilles Abwarten. Frau Finster hatte das Schweigen gebrochen. Die Hoffnung, Marlene und Charlotte auf so einfache Weise wiederzufinden, machte die Rosners euphorisch. Sie fingen an von früher zu erzählen und merkten schnell, wie gut es tat. Das Schweigen hatte sie einsam gemacht.
    Nach einer Woche klopfte es an der Tür. Ich saß allein in der Küche und hörte das ungeduldige Pochen. Stille, dann noch einmal lautes Klopfen.
    Wer war das? Warum machte niemand auf?
    »Fritzi! Franziska! Ist keiner da?«, rief eine laute Männerstimme.
    »Du musst schon mit mir vorlieb nehmen, Wippchen«, vernahm ich da Viktorias Stimme aus der Diele. »Die Damen sind mit Arbeiten beschäftigt.«
    »Ein Anruf für euch! Ferngespräch.«
    Ein Schauer lief mir über den Rücken. Ein Anruf. Caspar Wippchen war der Einzige im Dorf mit Telefon. Wir bekamen so gut wie nie Anrufe. Ein oder zwei Mal waren Fritzi oder Franziska am Telefon verlangt worden, als es um ihre Arbeit ging. Jetzt rief jemand von weit entfernt an.
    »Ein Ferngespräch? Um Himmels willen, wer war es denn? Was mache ich denn jetzt bloß?«
    »Ich würde sagen, du kommst mit rüber und sprichst mit der Frau«, sagte Wippchen trocken.
    »Was? Ist sie noch dran? Oh, mein Gott. Ja. Ich komme. Bin schon unterwegs.«
    Viktoria war völlig außer sich. Ich hörte, wie die Tür ins Schloss fiel. Dann kehrte Stille ein. Doch in mir herrschte wilder Aufruhr. Vielleicht war es Marlene. Vielleicht hatte sie unseren Brief bekommen. Vielleicht kündigte sie ihren Besuch an? Mit bangem Herzen lauschte ich auf jedes Geräusch von draußen und erschrak fast zu Tode, als plötzlich Albert in die Küche kam. Er öffnete den nagelneuen Kühlschrank und nahm eine Flasche Schnaps heraus, dann schob er die Türen des Hängeschranks zur Seite und holte zwei kleine Gläschen hervor. Mit einem trockenen Laut stellte er alles auf den Tisch und setzte sich. Die Kuckucksuhr über der Tür tickte laut.
    »Egal, wie die Sache ausgeht. Einen Korn braucht sie in jedem Fall«, sagte er. Dann lehnte er sich zurück und wartete.
    Es beruhigte mich ungemein, dass Albert da war. Einen Korn hätte ich sicher auch gut vertragen, auch wenn ich eigentlich nicht genau weiß, wie er wirkt. Wir hörten die Tür. Viktoria kam herein, sie war blass. Ich hielt die Luft an.
    »Ich weiß nicht, wie wir das den Kindern beibringen sollen«, sagte sie.
    Albert schenkte ihr ein. Ohne zu zögern, trank sie das Gläschen in einem Zug aus. Tränen stiegen ihr in die Augen.
    »Wir sind nicht die Richtigen«, hauchte sie.
    »Es ist ein seltener Zufall, der Richtige zu sein«, erwiderte Albert.
    Sie schwiegen, und vor meinem inneren Auge löste sich das Bild von Marlene und Charlotte in eine hellblaue Wolke auf und verschwand.
    Zum ersten Mal verfluchte ich die Liebe in meiner Brust. Ich hätte nie gedacht, dass sie so wehtun könnte.
    Fritzi ließ jedoch keine Enttäuschung aufkommen.
    »Seht es doch mal so, jetzt wissen wir wenigstens, wie es geht. Wir geben selbst eine Suchanzeige auf. Ich habe mich informiert. Der DRK-Suchdienst hat schon so viele Familien zusammengeführt. Über hunderttausend. Sie hängen überall Plakate auf, es gibt Zeitungsinserate, und im Radio bringen sie die Suchmeldungen auch. Warum sollten wir Marlene also nicht wiederfinden? Sicher sucht sie uns auch.«
    Franziska sah sie zweifelnd an.
    »Ich weiß nicht, wie viele Enttäuschungen ich noch verkrafte …«
    »Das muss erst mal bewiesen werden!«, rief Fritzi. »Willst du einfach so tun, als hätte

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