Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
als Direktoren? Geht man in der Stadt anders als auf dem Land? Oh, das konnte eine Abhandlung werden, die all die großen Themen in einem zusammenfasste, Gesundheit, Politik, Geschichte, Philosophie, Sport, nein, nichts kam an einer dieser natürlichsten und menschlichsten Eigenschaften des Menschen vorbei: am Gehen. Meine Forschung würde ebenso gut in der Medizin von Nutzen sein wie in der allgemeinen Erziehung und in den Sozialwissenschaften. Ich konnte nützlich sein. Und gab es etwas, was ich mir mehr wünschte als das, entweder nützlich oder unsichtbar zu sein? Ich konnte sogar die ganze Bevölkerung auf ein höheres, edleres Niveau heben. Ich war bereits begeistert von der Idee, während ich noch dort saß. Ich konnte einen Ministerposten erlangen. Ich konnte am Tisch des Königs sitzen. Ich wurde ehrgeizig und boshaft, während ich dort saß. Ich konnte sogar Notto Fipp im Dienste der Forschung benutzen, doch das verwarf ich voller Schamgefühl wieder, als wäre ich ganz plötzlich aus meinen Träumereien erwacht. Ich war kein Schmarotzer, wenn es um Menschen ging, wie einige glaubten, sie glaubten beispielsweise, ich würde wegen des Geldes heiraten. Das stimmt nicht. Ich habe Sigrid geliebt, solange das möglich war, vielleicht in erster Linie, weil sie mich akzeptierte, ja, meinen Trieb und meine Redewendungen sogar schätzte, und es gibt auf der ganzen Welt nicht genug Kapital, was sich damit messen könnte. Auf jeden Fall würde ich Notto Fipp zuerst fragen, damit wir feststellen konnten, ob wir gemeinsame Interessen in dieser Angelegenheit hatten, was meine Doktorarbeit betraf. Ich würde mich weiß Gott nicht in Notto Fipps Aktionen sonnen wollen und mich schon gar nicht auf seine Schultern stellen, um einen besseren Blick zu haben. Andererseits wollte ich Notto Fipp auch nicht in den Schatten stellen. Ich wollte nur ebenso uneigennützig und vorbildlich wie er sein.
Das sage ich jetzt.
Du kleiner Furz, du Stück Dreck, du selbstgerechter und schamloser Hagiograph!
Ich bin müde, meiner Person selbst müde und sehne mich nur noch danach, auszuruhen.
Ausruhen, das ist, als würde ich die Kathedrale der Leere betreten, entweder es ist ein Rausch, ein tiefer, traumloser Schlaf, Ekstase, oder um es in Notto Fipps Sprache zu sagen: Wenn ich gehe, denke ich weniger.
EIN SATZ
Am nächsten Morgen fand Sigrid ihren Verlobten in tiefen Schlaf versunken im Arbeitszimmer, über all seine spitzfindigen Notizen und Träume gebeugt. Vielleicht stand sie ja eine Weile dort und betrachtete ihn, maß ihn sozusagen und wog ihn ab. Vielleicht erfüllte er ihre Erwartungen. Vielleicht zweifelte sie an ihm. Vielleicht auch beides, vielleicht ballte sie die Fäuste und weinte leise. Nein, ich glaube nicht, dass es so war. Sigrid war eine einfache Seele, ohne dass ich damit ihre Leistungen schmälern möchte. Sie war entweder oder. Sie wollte ihr Fleisch entweder durchgebraten oder roh. Aber trotz allem ist man wehrlos im Schlaf im Beisein von wachen Menschen. Die Wachen haben die Übermacht. Die Schlafenden sind in ihrer Hand. Dann wurde ich schließlich von Sigrid geweckt, die die Gardinen aufzog und all die Sonne hereinließ. Es war fast zehn Uhr.
»Wollte mein Stutenprinz heute Nacht nicht bei mir schlafen?«, fragte sie.
Sigrid hatte bereits ihre Sportkleidung angezogen, das heißt, flache weiße Schuhe, halblange weiße Strümpfe, einen weißen Rock, der so lang oder besser gesagt so kurz war, dass die Knie zu sehen waren, und einen ebenso weißen Pullover, der über Brüsten und Schultern stramm saß, mit einem kleidsamen blauen Rand um die Taille, der das meiste betonte. Nicht umsonst wird Tennis der weiße Sport genannt. Sie war bereit für den ersten Satz, und ich war gerade mal unter die Lebenden zu rechnen.
»Ich musste etwas Wichtiges vorbereiten.«
Sigrid legte den Kopf schräg.
»Etwas Wichtiges? Gibt es etwas Wichtigeres als mich?«
Meine Arme schossen in die Luft, als wären sie hinaufkatapultiert worden, zuerst der eine, dann der andere, aber es ging so schnell, als geschähe es gleichzeitig. Sigrid ließ sich dieses Mal nichts anmerken. Das konnte, wenn man es nicht besser wusste, fast wie Morgengymnastik aussehen. Es war ein neuer Schritt in meinem Ballett. Ich erweiterte mein Repertoire. Ich hätte ja lieber das ausgefeilt, was ich bereits draufhatte, aber mir blieb keine andere Wahl. Ich holte tief Luft, schlug mit den Händen auf den Tisch und schob die Papiere zusammen.
»Das habe ich
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