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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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geht und ihn in Augenschein nimmt, ihn streichelt, sich in ihm spiegelt, während Alfred auf dem Kutschbock sitzen bleibt, mit gekrümmtem Rücken, allein, die Peitsche in der Hand.
    Alfred! Alfred Melingen! Mein gekündigter, schicksalsschwerer Chauffeur, mein Erbstück! Lasst mich ihm Gerechtigkeit zuteil werden. Er hatte zunächst die Stellung eines Faktotums bei Hvals Nadelfabrik , damals, als sie nur so hieß, und lief die ganze Zeit zwischen Vaters Büro und Besserud hin und her. Dann fiel ihm ein Muringanker auf den rechten Fuß, als er am Hafen entlanglief, um irgendwelche Frachtpapiere an Bord eines spanischen Frachters zu bringen, fing an zu hinken und konnte nicht mehr alles so schnell ausliefern. Vater wollte auf diesen zähen, loyalen Mann aber nicht verzichten, ein Junggeselle für alle Zeiten, und stellte ihn deshalb als Kutscher und rechte Hand der Familie ein. Alfred nahm mich zum Beispiel mit ins Frogner Stadion, damit ich beim Eisschnelllauf zusehen konnte, und es war so kalt, dass Oscar Mathisen auf den Geraden einen Mundschutz benutzen musste. Jedes Mal, wenn er eine Runde gelaufen war, zog ein blauer Nebel an den engen Tribünen vorbei, und ich freute mich über diese heilige Gemeinsamkeit, mein Atem war ein Teil des allgemeinen Atems. Aber was mich am meisten freute, das war der Lauf nach der Pause: Ein Mann namens Axel Paulsen war nicht nur ohne Unterbrechung 25 000 Meter von der Frognerquelle her gegangen, er hatte außerdem einen neuen Zweig im Schlittschuhsport erfunden. Er ging nämlich rückwärts. Das war sonderbar anzusehen. Es versetzte mich in eine tiefe Ruhe, zuzusehen, wie Axel Paulsen, der nie ein Denkmal vor dem Stadion bekam, rückwärts lief. Der gesamte Sport sollte rückwärts vor sich gehen. Das war einleuchtend. Axel Paulsen schaute in die eine Richtung und ging in die andere, sogar in den Kurven. Er tanzte auf zwei Hochzeiten. Er hatte den Überblick. Ich glaube, er lief sogar einen Weltrekord, aber das war vielleicht auch nicht besonders verwunderlich, da er ja der Erste war, der rückwärts auf Schlittschuhen lief. Wenn ich mit Eisschnelllauf anfangen wollte, dann würde ich es auch tun, rückwärts laufen. Ich begriff nicht, warum das Publikum lachte. Die Gemeinschaft war nicht mehr heilig. Ich war allein auf der Tribüne. Mein Atem gehörte mir allein. Übrigens passte Alfred auch auf Mutter auf. Niemand wusste so recht, woher er kam. Es hieß, dass er ins Geschlecht des fahrenden Volkes gehörte, das in der weiten Gegend der finnischen Wälder und um die schwedische Grenze herum lebt. Er hatte auch braune Augen und einen anderen Hautton als wir Stadtmenschen. Er selbst redete wenig oder gar nicht. Ich wusste nicht, wie alt er war. Ich glaube, das wusste er selbst nicht. Alfred war schon immer alt. Ich mochte Alfred richtig gern. Ich hätte ihn nie entlassen dürfen.
    »Alfred!«
    Es ist Vater, der ruft.
    Und Alfred steigt widerstrebend zu uns herab, und wir gehen noch einmal um den Wagen herum, und Alfred hat immer noch die Peitsche in der Hand, als wollte er nichts riskieren, falls dieses Fahrzeug durchgeht, würde er es schon zähmen. Dann bleibt Vater vor den Scheinwerfern stehen, beugt sich über den einen Kotflügel und sagt:
    »Ja, ja, mein guter Mann. Jetzt hat Hammer seine Dienste getan.«
    Alfred schaut zu Boden.
    »Das hat er sicher.«
    »Es ist der Fortschritt, der ihn eingeholt hat. Ich hoffe, du verstehst das.«
    »Ich verstehe. Wir werden nicht mehr gebraucht.«
    Vater richtet sich auf und legt Alfred fest eine Hand auf die Schulter.
    »Was hältst du davon, wenn ich dich vom Kutscher zum Chauffeur befördere?«
    Ich stehe neben ihnen und rufe in meinem Inneren laut Ja, während der Verkäufer und der Techniker geduldig warten, die Hände auf dem Rücken.
    »Ich kann nicht fahren«, sagt Alfred.
    Vater lacht laut auf.
    »Ach, das ist einfach. Es gibt zwei Pedale. Eines, um Fahrt zu kriegen, und eines, um zu bremsen. Und das Lenkrad ist dazu da, um die Kurve zu nehmen. Vergiss das nicht. Ohne Lenkrad kein Automobil.«
    Vater dreht sich zu den Männern um.
    »Habe ich so ungefähr recht?«
    Beide nicken, und der Techniker kommt näher, falls er kurzfristig gebraucht werden sollte.
    Aber Alfred sträubt sich immer noch.
    »Ich habe keinen Führerschein.«
    Vater nimmt ihm einfach die Peitsche weg und wirft sie den Jungen zu, die sich sofort darum prügeln. Anschließend zieht er eine kleine Mappe aus der Innentasche, eine Art zusammengefaltete Karte, die er

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