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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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wenig frische Luft an ihren Wangen. Der Wunsch, aus diesem Haus zu fliehen, war stärker als die Enttäuschung, mächtiger als die Angst. Es hungerte sie nach Freiheit, sie hatte das dringende Bedürfnis, diesem Rattenloch zu entkommen, sich lebendig zu fühlen und sich an der Welt zu reiben. Zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Tochter brodelte es wieder in ihr, es war wie ein glühender Strom, der jene Zonen ihres Innern erwärmte, die durch die Erinnerungen taub und kalt geworden waren.
    »Noch einmal mein Glück versuchen.«

130
    »Was für ein Scheißtag«, ärgerte sich Benjamin, als er am Flughafen von Port Harcourt aus dem Flugzeug stieg. Er wartete, bis Jacques seinen Koffer vom Gepäckband genommen hatte, dann gingen sie gemeinsam Richtung Ausgang.
    In Paris waren sie gestartet, in Casablanca hatten sie eine Zwischenlandung, und nach der Ankunft auf dem Murtala-Mohammed-Flughafen in Lagos waren sie noch mit einem Charterflugzeug über den Golf von Benin und die Deltaregion geflogen. Während der aufeinanderfolgenden Flüge hatte keiner der beiden ein Auge zugetan.
    Auf der Strecke Casablanca–Lagos waren sie neben einer Gruppe französischer Auswanderer gesessen, die unentwegt herumgegrölt und die Flugbegleiterin angemacht hatten. Der jüngste von ihnen – für den es offensichtlich der erste Aufenthalt in Schwarzafrika war – hatte sich reichlich an den von der Fluggesellschaft angebotenen Schnapsfläschchen bedient. Vielleicht um die Beklommenheit zu betäuben, die ihn bei dem Gedanken überkam, die nächsten Jahre seines Lebens eingesperrt in einem dreißigstöckigen Hochhaus zu verbringen und nur aufbereitete Luft zu atmen, oder vielleicht auch nur deshalb, weil ihn der Alkoholkonsum enthemmte. Benjamin hatte diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen, denn der junge Mann schien über ein unerschöpfliches Repertoire peinlicher Witze zu verfügen. Er hatte den Steward angesprochen und ihn gefragt: »Weißt du, wie man einen Schwarzen mit einer Knarre nennt?«
    Der Mann, ein etwa vierzigjähriger Nigerianer, hatte höflich gelächelt und den Kopf geschüttelt.
    »Man nennt ihn: Monsieur.«
    »Ist das alles?«
    »He, bleib da!« Er hatte den Steward am Ärmel gepackt. »Das ist ein Witz … Komm, nur noch einer, der wird dir gefallen … «
    »Bitte!«
    »Weißt du, warum ihr Schwarzen es nicht fertigbringt, einen anständigen Politiker zu wählen?«
    »›Weil sie dazu einen Weißen wählen müssten‹«, schnitt ihm Jacques, der sich auf seinem Sitz umgedreht hatte, gereizt das Wort ab. »Weißt du, mein Junge, in einer Stunde landen wir in Lagos, und weißt du, wie man die rassistischen weißen Scheißer in Lagos nennt? Man nennt sie die zehn Schritte …«
    Die Franzosen hatten sich gegenseitig angesehen. Der Jüngste hatte mit den Augen geblinzelt, als versuchte er vergeblich, die Wirkungen des Alkohols zu vertreiben.
    » Zehn Schritte? «, hatte er mit belegter Stimme gesagt. »Warum zehn Schritte? «
    »Weil sie so viele Schritte machen können, ehe sie ausgeraubt, von Schutzgelderpressern entführt oder umgebracht werden.« Jacques lächelte mitfühlend. »Weder elf noch zwölf, sondern genau zehn Schritte .«
    Der junge Mann hatte ihn spöttisch angestarrt, aber ein flüchtiges Zittern seiner Lippen hatte einen Zweifel verraten, der größer werden würde, bis er in einem Taxi säße und die Türen verriegelt wären.
    Benjamin hatte sich zu Jacques’ Ohr gebeugt.
    »Wo hast du denn diese Geschichte her?«
    »Ich habe sie gerade erfunden. Aber es hat gewirkt, jedenfalls wird dieser Blödmann bis zur Landung die Klappe halten.«
    Die Flügeltüren des Passagierterminals gingen auf, und die von Abgasen gesättigte feuchte Luft – die für Port Harcourt typische Feuchtigkeit – schlug ihnen entgegen wie lauwarme Suppe, die man ihnen ins Gesicht geschüttet hatte. Benjamin atmete die Gerüche Afrikas tief ein. Er fühlte sich gut.
    »Und jetzt, wo wir da sind, Sherlock?«, sagte Jacques und schirmte seine Zigarette mit einer Hand gegen den Wind ab, um sie anzuzünden.
    »Steigen wir in einen Danfo … «
    »So weit wird es nicht allzu schwierig sein«, meinte Jacques und kramte in seinen Taschen nach Münzen.
    Benjamin schlug die Zeitung auf, die er gerade gekauft hatte, und suchte die Adresse der Redaktion.
    »Wir werden dem Chefredakteur der Free Delta News einen kleinen Besuch abstatten. Herrn … « Er hielt die Zeitung dicht an seine Augen, um die Unterschrift unter dem Leitartikel zu

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