Die Unseligen: Thriller (German Edition)
Tschadsees, nahe der Grenze zu Kamerun, eine katholische Missionsstation zu gründen. Ich komme gerade nicht auf den Namen der Stadt … «
»Baganako?«
»Baganako, genau. Wie Sie bestimmt wissen, ist dies eine muslimische Region, die für Christen sehr gefährlich ist. Die Kirche hat das Projekt wegen der Risiken zunächst abgelehnt. Aber Pater David war nicht davon abzubringen. Er hat sogar nachdrücklich den Standpunkt vertreten, die Christen müssten angesichts des Vordringens des Islam in Afrika weiterhin entschlossen Widerstand leisten … « Er fischte sich eine neue Zigarette aus der Schachtel, zögerte aber, sie anzuzünden. »Die Kirche hat zu spät erkannt, dass sein Projekt nicht viel mit der Verteidigung des Glaubens zu tun hatte. Priester, die mit David zusammenarbeiten, haben uns davon in Kenntnis gesetzt. Sie haben uns enthüllt, dass der Chef der MEND und David miteinander in Verbindung stehen und dass die katholische Mission in Baganako in Wirklichkeit als verdecktes Lager für Waffen aus Kamerun und dem Niger dient.«
Die beiden Ärzte wechselten einen entgeisterten Blick.
»Mit Verlaub, Hochwürden«, meldete sich Jacques zu Wort, »wollen Sie uns verschaukeln?«
»Keineswegs. Das ist die reinste Wahrheit«, verteidigte sich der Priester. »Pater David beschaffte einen Teil des Geldes und der Waffen für die Revolution von Yaru Aduasanbi. Er war fest entschlossen, sich an der Regierung zu rächen. Die Unterstützung der MEND stand voll und ganz in Einklang mit seinen Überzeugungen.«
»Mist … «, murmelte Benjamin und lehnte sich auf dem Sofa zurück. »Ihn wollte Yaru Aduasanbi also in Baganako treffen. Pater David sollte ihm helfen, über die Grenze zu kommen … «
»Es kann gut sein«, versetzte Jacques, »dass er der MEND von Naïs erzählt hat. Ich meine: Er hätte von dem Waisenhaus und von dem, was der Staat geheim halten wollte, berichten können, oder?«
128
Nachdem der Priester gegangen war, blieb Benjamin noch etliche Stunden wach. An seinem Schreibtisch sitzend, las er seine Aufzeichnungen wieder und wieder durch. Draußen ging der Regen in Graupel über, und der Wind ließ den Weihnachtsschmuck über den Straßen tanzen.
Jacques schlief in seinem Bett, das Bettzeug über den Kopf gezogen. Benjamin betrat leise das Zimmer und zog die Schublade der Kommode auf. Ein leichtes Quietschen weckte seinen Freund auf.
»Maëlle?«, fragte er im Halbschlaf.
Benjamin lächelte. Nach fünfundzwanzig Jahren Ehe träumte er noch von seiner Frau. Vielleicht hätte sie ihn nicht verlassen, wenn sie das gewusst hätte.
»Ich bin’s«, flüsterte er.
»Ben?« Jacques richtete sich auf den Ellbogen auf. »Mist, wie spät ist es?«
»Drei Uhr. Schlaf weiter.«
Jacques gähnte mit sperrangelweit aufgerissenem Mund und schüttelte den Kopf, als er sah, dass Benjamin Kleidungsstücke aus einer Schublade herausholte.
»Was treibst du denn da?«
»Ich packe. Ich fliege dorthin zurück.«
Jacques schaltete die Nachttischlampe an und betrachtete Benjamin mit verstörtem Gesichtsausdruck. Nach einer langen Minute stieß er einen Seufzer aus und ließ seine Beine über den Rand der Matratze gleiten.
»Was hast du vor?«
»Was glaubst du? Du willst doch nicht allein losziehen, oder?«
Februar 2010
Entfliehen
»Aber ein Mensch, dem ihr alles genommen habt – der ist euch
nicht mehr untertan, der ist wieder frei.«
Alexander Solschenizyn, Der erste Kreis der Hölle
129
Die Prostituierte sammelte die Abfälle auf, die auf dem Boden herumlagen, die leeren Flaschen und die Crackpfeifen, die zu verkohlt waren, um wiederverwendet zu werden, und stopfte alles in große Müllbeutel, die sie in der Nähe der Tür aufstapelte. Sie schniefte und betastete ihre Nase. Sie hatte zwei blaue Augen, und ihr Nasenrücken glich einer Kartoffel, die allzu lange in der Sonne gelegen hat.
Megan vergewisserte sich, dass sie tatsächlich allein waren, dann betrat sie das vom Grau dieses späten Vormittags nur matt erhellte Wohnzimmer. Pater David schlief noch – ein schwerer Fieberanfall hatte ihn niedergestreckt. Auch Naïs hatte eine unruhige Nacht gehabt, in der sie von Albträumen gequält worden war, und sie war erst in den Armen der Krankenschwester zur Ruhe gekommen, den Kopf auf ihrer Brust.
Die Prostituierte lächelte die junge Frau an.
»Schon auf, meine Liebe? Du kannst mir sagen, was du brauchst, ich muss heute einkaufen gehen.«
Megan ließ sich nichts anmerken, aber ein warmes Prickeln
Weitere Kostenlose Bücher