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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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Rowdy, er soll langsamer fahren!«
    Sein Wunsch wurde auf der Stelle erfüllt.
    Der Fahrer stieg voll auf die Bremse, was die dahinter fahrenden Polizeiautos zum gleichen Manöver zwang. Jacques befestigte den Beatmungsbeutel am Mundstück des Tubus, als die Türflügel aufgingen. Das Tageslicht blendete sie. Ein Arzt und zwei Krankenpfleger rannten aus der Notaufnahme des Krankenhauses auf sie zu. Benjamin löste mit dem Fuß die Bremse an den Rädern der Fahrtrage und informierte den Notarzt.
    »Eine etwa fünfunddreißigjährige Frau in kritischem Zustand, zwei Schusswunden, eine in Höhe des Bauchs, die zweite in Höhe des Brustkorbs.«
    »Wir mussten sie intubieren«, fuhr Jacques fort, »aber das genügt nicht. Sie muss sofort künstlich beatmet werden.«
    Die Krankenpfleger packten die Trage an den Griffen und zogen sie nach draußen. Die Polizisten stießen zu ihnen – schweißnass. In diesem Moment schenkte Benjamin den Männern, die aufstanden, als sie sich näherten, weiter keine Beachtung. Er legte die Hand auf die Stirn der Verletzten und flüsterte:
    »Gehen Sie nicht. Nicht jetzt … «
    Sie drehte den Kopf zu ihm, und er glaubte, sie wolle jemanden in seinem Rücken anlächeln, aber sie riss die Augen weit auf. Sie wollte sich aufbäumen, versuchte, sich den Gurten zu entwinden, die sie an der Trage festhielten.
    »Sie bekommt Krämpfe!«, sagte Jacques.
    Die Krankenpfleger drückten sie an den Schultern auf die Trage, aber sie schlug weiterhin um sich.
    »Nein! … Das ist etwas anderes … «
    Benjamin beugte sich zu ihr und erkannte die panische Angst in ihren Augen, ein kaltes Entsetzen, so eiskalt, dass es sich in ein Fieber verwandelte. Er drehte sich um, weil er wissen wollte, was dieses Entsetzen hervorrief, aber er sah nur einen Halbwüchsigen, um den fünf Männer standen.
    Und einen Priester.
    Als er den Kirchenmann erkannt hatte, dehnte sich die Zeit, und jede Sekunde währte eine Ewigkeit. Die Sonnenstrahlen auf den großen Glasfenstern des Krankenhauses, die Gestalten in weißen Kitteln um ihn herum, die Polizisten außer Atem, der Wind, der Staubwolken aufwirbelte, alles, was er sah, nahm er wie in Zeitlupe wahr – so musste man die Welt erleben, wenn man nach einem langen Koma aufwachte.
    Er glaubte zu schreien, als er die Waffe in der Hand des jungen Mannes sah, der auf sie zulief, aber sein Herz pochte so heftig, dass er seine eigene Stimme nicht hörte. Auch die Schüsse aus der 9-mm-Pistole, ihr gedämpftes Geräusch, mehr ein Klicken, hörte er kaum. Das spätnachmittägliche Sonnenlicht war so grell, dass er das Mündungsfeuer nicht sah, als der junge Bursche wieder und wieder auf den Abzug drückte.
    Die Frau auf der Trage tanzte in der Horizontalen, von Kugeln durchsiebt. Dann sank einer der Polizisten auf die Knie und führte langsam die Hand zu seinem Hals. Der Mann betrachtete seine Finger und das Blut, das sich in seinem Handteller gesammelt hatte. Er blickte zum Himmel auf und sackte dann jäh zusammen.

Das Krankenhaus und seine Phantome
    »Atme ein.
    Hol so viel Luft, wie du kannst.
    Diese Geschichte sollte ungefähr so lange dauern,
wie du die Luft anhalten kannst, und dann noch ein bisschen länger.
Also hör so schnell zu, wie du kannst.«
    Chuck Palahniuk, Vorfall , in: Die Kolonie

144
    Am Horizont verschlangen sich lange graue Wolken zu einem endlosen Zopf, und ein trockener, stechender Geruch nach Schießpulver hing in der Meeresluft. Es war vollkommen still. Die Umgebung des Krankenhauses und die Straßen waren wie ausgestorben. Zerknülltes schmutziges Papier und Patronenhülsen rollten über den Boden, angetrieben von dem frischen Wind, der vom Meer heraufzog. Man hätte meinen können, ein apokalyptischer Sturm habe die Stadt leergefegt und sie wäre seit Jahren von keinem Menschen mehr betreten worden.
    Die Warnleuchte eines Krankenwagens drehte sich lautlos, und ihr rotes Licht spiegelte sich in den großen Glasfenstern des Erdgeschosses. Auf der anderen Seite der Fahrbahn lag ein umgekipptes Kohlenbecken, die noch heiße Glut war auf den Gehsteig verstreut. Maiskolben im Rinnstein verhinderten, dass der dünne Wasserstrahl in den Gully ablaufen konnte. Eine dunkle Lache breitete sich langsam auf der Straße aus.
    Ein Polizist lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Seine rechte Hand war erstarrt, ausgestreckt zu der eines anderen Polizisten, der ebenfalls tot war. Alle beide schienen in einem schwarzen Tümpel zu schwimmen. Ihre Waffen steckten noch

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