Die Unseligen: Thriller (German Edition)
ausgetrieben haben.«
Benjamin zuckte zusammen, als er den General hörte. Innerhalb von zehn Jahren waren allein in der Region des Deltas fünfzehntausend Kinder der Hexerei bezichtigt worden. Die NGO s, die etwas gegen das Phänomen der »Kinderhexen« unternehmen wollten, hatten die Öffentlichkeit letzten Mai zu alarmieren versucht, als zwölf Mädchen im Namen Gottes in ein Bad mit Ätznatron gestoßen worden waren.
»Sie wird uns einen Batzen Geld einbringen«, versicherte Yaru Aduasanbi. »Und mit diesem Geld können wir die Revolution ausweiten.« Er strich mit dem Zeigefinger über die Wange des Mädchens und drehte sich zu Okah um. »Wir sind im Krieg, Henry. Naïs ist das sicherste Mittel zur Finanzierung unseres Sieges.«
»Oder unser Ruin«, murmelte Okah.
20
Benjamin war sich mittlerweile sicher.
Er würde sterben, und seine Leiche würde irgendwo im Dschungel vermodern. Alles, was von ihm übrig bliebe, wären von Wind und Wetter gebleichte Knochen. Yaru Aduasanbi und Henry Okah hatten ganz offen vor ihnen gesprochen und nicht einmal versucht, das, was sie mit diesem Kind vorhatten, zu verschweigen. Da gab es weder Raum für Spekulationen noch die geringste Hoffnung. In den Augen dieser beiden Männer waren Jacques und er bereits tot.
Benjamin betrachtete seinen Freund, und an dessen niedergeschlagenen Haltung, seinem ruhigen Atmen erkannte er, dass er ebenfalls verstanden hatte. Er dachte an das, was er vollbracht hatte, und an das, was er bereute.
Er hatte nie geliebt. Und wenn die Stunde kam, Bilanz zu ziehen, würde er sich zweifellos wünschen, er hätte diese Lücke gefüllt. Ohne Liebe durchs Leben zu gehen, hatte ihn nie gestört, aber er hatte nicht aufgehört, daran zu glauben, dass eine Frau eines Tages unbekannte Gefühle in ihm wecken würde.
Das Mädchen rechts neben ihm wurde unruhig und riss ihn aus seinen Träumereien. Benjamin hörte sie schluchzen und fragte sich, was für ein Schicksal das Leben diesem Kind wohl bereithielte. Er dachte an das Gespräch zwischen den beiden Generälen der MEND . Hundert Millionen Dollar für das Leben dieses kleinen Mädchens. Die Absurdität dieser Summe entlockte ihm ein Lächeln. Er stützte seinen Kopf gegen die Wand, und die Wärme des Steins beruhigte ihn. Die Schluchzer von Naïs vermischten sich mit den Geräuschen des Lagers und dem Plätschern des Flusses.
Die Stimme Jacques’ ertönte am anderen Ende des Raumes.
Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg …
Das Kind hörte auf zu schluchzen, und Benjamin begegnete seinem Blick. Er lächelte es traurig an und sang:
Die Mutter ist im Pommerland, Pommerland ist abgebrannt. Maikäfer flieg.
21
»Herr Minister?«
Der Mann näherte sich dem Schreibtisch und wartete, bis sein Gegenüber sein Telefonat beendete. Landkarten von Nigeria sowie Polizeiberichte über die Aktivitäten der MEND waren auf der Schreibunterlage ausgebreitet. Die Gesichter von Henry Okah und Yaru Aduasanbi tauchten auf dem Bildschirm des Computers auf. Der Außenminister legte unvermittelt auf und hob den Blick zu seinem Berater.
»Die Geiseln sind noch am Leben, Herr Minister. Das wurde uns vom nigerianischen Innenministerium bestätigt.«
»Gibt es eine Lösegeldforderung?«
»Nein, noch immer nicht. Ein Spitzel hat diese Information übermittelt. Die Regierung hat uns die Unterlagen zur Verfügung gestellt.«
Er legte eine Aktenmappe mit dem Stempel »Militärgeheimnis« auf den Schreibtisch. Der Minister schlug sie auf und überflog die von der nigerianischen Regierung gefaxte militärische Akte.
»Forman Stona«, las er mit lauter Stimme.
»Er gehört den Spezialkräften an. Sein Infiltrationseinsatz hat vor sieben Monaten begonnen.«
»Was hat er über die Geiseln herausgefunden?«
»Sie werden heute Abend verlegt. Aber nach Aussage von Sergeant Stona haben die Anführer der MEND beschlossen, sie zu beseitigen.«
Der Minister runzelte die Stirn. Nach etwa zehn Sekunden fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht und lehnte sich tief in seinem Sessel zurück.
»Warum werden sie dann verlegt?«
»Das Mädchen muss weggebracht werden.«
»Weiß man mehr über sie?«
»Nicht wirklich. Die nigerianische Regierung hält Informationen zurück. Sie behaupten, es wäre eine sensible Angelegenheit.«
»Wieso ›sensibel‹?«, regte der Minister sich auf. »Wer ist dieses Mädchen? Die uneheliche Tochter des Präsidenten?«
Er stand auf und ging um den Schreibtisch herum, wobei er eine Schachtel
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