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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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nicht wirklich gelebt hatte. Und dieses bedrückende Gefühl verließ sie weder Tag noch Nacht. Megan kniete sich nieder und riss das Unkraut heraus, das die in den Marmor eingemeißelte Grabinschrift überwucherte. Es begann wieder leicht zu regnen, und im Westen verschwammen die Silhouetten des Friedhofs mehr und mehr. Die junge Frau zog ihr Jo-Jo aus der Tasche.
    »Deine Großmutter hat mir dieses Spielzeug geschenkt. Es hilft mir, wenn ich … « Sie betrachtete die Lichter der Stadt, die plötzlich heller wurden, als würde ihnen der Regen wieder mehr Glanz verleihen. »Dieses Spielzeug hilft mir, wenn ich traurig bin und du mir fehlst … Ich dachte, dass es eines Tages dir gehören würde. Ich hätte es dir früher geben können, aber ich fürchtete, du könntest dich damit verletzen … Dummer Gedanke, nicht? Dich mit einem Jo-Jo verletzen … «
    Die Tropfen liefen ihr kalt wie Schneeflocken über den Rücken. Aber Megan hatte nur noch ein eintöniges Gefühl unwirklicher Entrücktheit – das gleiche Gefühl, das sie überkommen hatte, als man ihr mitteilte, das Herz Alisons habe aufgehört zu schlagen.
    Der Kummer war stärker als alle Worte. Sie erhob sich eilig und verließ den Friedhof, ohne den Wachmann auch nur zu grüßen.

38
    Eine kurze Nacht, in der sie Schweißausbrüche plagten.
    Sie hatte eine Zigarette nach der anderen geraucht, während sie die digitalen Ziffern des Weckers anstarrte. Sobald sie auch nur ein wenig darin nachließ, drohten Albträume sie heimzusuchen.
    Der verwaschene Tagesanbruch tauchte den Kamm der Wolkenkratzer in grauen Dunst. Megan stand mit Magenkrämpfen auf.
    Ihre grünblauen Augen waren von braunen Ringen umrahmt. Ihr porzellanweißer Teint, das Erbe ihrer englischen Abstammung mütterlicherseits, spielte infolge ihrer vielen Nachtdienste ins Durchscheinende. Die fünf Jahre, in denen sie in diametralem Gegensatz zum biologischen Tag-und-Nacht-Rhythmus gelebt hatte, hatten die Schönheit der »Miss Green Bay 1995« angegriffen. Mit zweiunddreißig Jahren war ihr Gesicht nur noch ein entstelltes Spiegelbild der hübschen Cheerleaderin, die sich das heiß begehrte Diadem geangelt hatte.
    Ihre Figur dagegen hatte sich gut behauptet und sich den Abnutzungseffekten der Zeit erfolgreich widersetzt. Ihren noch immer straffen und runden Brüsten schien die Schwerkraft nichts anhaben zu können. Ihre Taille beschrieb noch die gleiche kühne Kurve wie im letzten Jahr auf dem Gymnasium, und wenn sie einen Raum betrat, sahen sich die Männer noch immer nach ihren langen, wohlgeformten Schenkeln um.
    8.10 Uhr. Sie schaltete ihr Notebook ein und sah sich ihre Mails an.
    Ihr Vorgesetzter, der Leiter der Notaufnahme und ein alter Hase in der Medizin, wünschte ihr lapidar »Gute Reise«. Ihm hatte es nicht gefallen, dass eine seiner besten Krankenschwestern einen so langen Urlaub nahm und noch dazu für eine Sache, die er zwar als lobenswert, aber unvernünftig ansah.
    »Diese Menschen werden nicht dadurch gerettet, dass man sie medizinisch behandelt, sondern dadurch, dass man ihnen hilft, eine tragfähige Wirtschaft aufzubauen, ein System, das ihnen erlaubt, Krankenhäuser zu eröffnen und die Behandlung selbst zu finanzieren. Seien Sie für einen Moment realistisch: Wie viele Patienten werden in dieser Klinik, einer der besten der Welt, in einer Nacht behandelt? Und jetzt stellen Sie sich den fünffachen Andrang von Patienten vor, ohne angemessene Ausstattung mit medizinischem Material – wie reagieren Sie darauf?«
    Die zweite Mail stammte von der Pariser Sektion von Médecins Sans Frontières . Ihre Kontaktperson vor Ort nannte ihr einen Termin für ein Treffen in den Räumlichkeiten der Organisation in der Rue Saint-Sabin 8 im 11. Arrondissement. Ihr Visum war ausgestellt. An die Mail angehängt waren ein ausführliches Exposé über ihre Mission und über die verschiedenen Einsätze von Médecins Sans Frontières in Subsahara-Afrika sowie die Liste der Namen des medizinischen Personals, das bereits vor Ort war.
    Sie drückte gerade ihre Zigarette aus, als ihr Mail-Alert abermals läutete. Sie klickte auf die virtuelle Postkarte, und ein Banjo spielendes Kätzchen tauchte auf dem Bildschirm auf. Die Katze öffnete das Maul, und eine Roboterstimme knisterte aus den Lautsprechern des Computers.
    »Hallo Liebes. Dein Vater und ich, wir wollen dir eine gute Reise wünschen. Du fehlst uns schon jetzt. Herzliche Grüße.«
    Seit ihrer Scheidung machten sich ihre Eltern Sorgen und

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