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Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Die Unseligen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Unseligen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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Mädchen ließ es, ohne zu murren, geschehen, als ihm die Krankenschwester das T-Shirt und die Windel auszog. Laut der Akte, die bei seiner Aufnahme angelegt worden war, hatte der Arzt weder Oligurie noch Diarrhö festgestellt. Dagegen war der Vitamin-, Eisen- und Natriummangel weiterhin besorgniserregend. Die Kleine lächelte seltsam, dann wandte sie den Blick ab und kratzte sich ungestüm am Nabel.
    »Sachte … «, sagte die Krankenschwester und nahm die Hände des Mädchens.
    Mit ihren Fingernägeln hatte die Kleine die Narben an ihrem Bauch aufgeschürft und zwang Megan so dazu, nach einem Fläschchen mit antiseptischer Lösung und einer Kompresse zu greifen.
    »Das könnte ein bisschen brennen«, flüsterte sie.
    Als der Verbandsmull die Haut berührte, knirschte das Mädchen mit den Zähnen, und ein heiserer Laut entfuhr seiner Kehle.
    »Pst … ist schon vorbei … «
    Über den kleinen runden Bauch gebeugt, der infolge der Unterernährung gespannt war, musterte Megan die rituelle Hautritzung. Die Narbe erinnerte sie entfernt an ein ägyptisches Ankh-Kreuz, eine Schleife um den Nabel mit angesetztem Kreuz.
    »Entschuldigen Sie … «
    Sie drehte sich um.
    »Was machen Sie hier?«, fuhr sie den Priester an, der vor dem Bett stand.
    »Ich wollte Ihnen sagen, dass ich nicht weiß, wieso Sie eben in diesem Tonfall mit mir gesprochen haben.«
    »Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt: Sie haben hier nichts zu suchen.«
    Der alte Mann ließ die Schultern sinken, mit seinen langen, knochigen Händen fingerte er an dem Spielzeug herum, das er gegen seinen Körper drückte.
    »Ich … « Er sah ins Licht und wich dem Blick der Krankenschwester aus. »Ich lasse mich nicht in dieser Weise beleidigen. Sie wissen nichts.«
    »Ich glaube, dass ich genug weiß. Bitte reisen Sie ab!«
    »Sie irren sich … Sie können das nicht verstehen.«
    »Was verstehen? Dass Sie die Hilflosigkeit dieser Kinder missbraucht haben? Kinder, die außer Ihnen niemanden hatten?«
    Pater David wich einen Schritt zurück und schwieg einen Moment lang.
    »Sie haben recht. Es ist besser, wenn ich abreise.«
    Der Priester wandte sich ab und wankte zur Treppe. Nach einigen Schritten wandte er sich um und betrachtete das Spielzeug in seinen Händen.
    »Würden Sie es ihr geben?«, fragte er und hielt ihr das Spielzeug hin.
    Die Krankenschwester nickte, damit er so schnell wie möglich verschwand.
    Als das Mädchen die Giraffe sah, streckte es die Arme danach aus.
    »Nein, Engelchen, das ist nicht für dich«, sagte Megan und strich ihr über die Wange.
    Der Priester sah auf das Mädchen hinab, lächelte es tief bekümmert an, und dieses Lächeln erstarrte. Er näherte sich dem Bett mit dem Ausdruck eines Mannes, dem man gerade bewiesen hat, dass Gespenster existieren.
    »Naïs?«
    Megan war so perplex, dass sie sich nicht mehr rührte. Das Mädchen warf dem Priester durchdringende Blicke zu; sie schien ihn ausforschen zu wollen und in ihm Dinge zu sehen, von denen er selbst nichts wusste. Plötzlich entspannten sich die Züge der Kleinen, und ein kindliches Lächeln erhellte ihr Gesicht.

Brooke
    »Wir bitten hier für unsere Sünden um Vergebung, Dave.
    Wir waschen uns rein.«
    Dennis Lehane, Mystic River

80
    Hinter einer Kurve sah er plötzlich den schimmernden Fluss und die Sandzungen. Der Widerschein des Mondes verlor sich inmitten der Stechginsterbüsche und Lampions, die an den Fischerhütten befestigt waren.
    Der Mann parkte am Fuße einer kleinen Düne und stellte den Motor ab. Durch die Windschutzscheibe betrachtete er die wenigen Schatten, die gebeugt aus den Hütten herauskamen und mit schnellen Schritten ins Lager zurückkehrten, als fürchteten sie, gesehen zu werden. In der Nähe eines Holzfeuers überwachten drei Männer beiläufig das Kommen und Gehen, während sie auf einem alten Benzinkanister Craps spielten. Mit den Augen suchte er die Umgebung des Strandes ab und bemerkte die Silhouetten von Halbwüchsigen, die Wache hielten und pfiffen, um die Ankunft eines Neuankömmlings zu melden. Diese Jungs, die von den Zuhältern bezahlt und beschützt wurden, nutzten ihre Stellung aus, um Geld von den Freiern zu erpressen.
    Der Mann öffnete die Tür, und Pfiffe rechts von ihm verrieten augenblicklich seine Anwesenheit. Die drei Männer unterbrachen ihr Spiel, und einer von ihnen richtete seinen Feldstecher auf den Eindringling. Der Mann erblickte eine Hyäne, die an einem Mauerstein festgebunden war. Auch sie sah in seine

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