Die Unseligen: Thriller (German Edition)
eine Schlange von Patienten gebildet, und einige überlegten, ob sie sich Hilfe suchend an die kleine Gruppe wenden sollten, aber der missmutige Ausdruck auf den Gesichtern schreckte sie ab.
Finger zeigten auf den Horizont, als der sandfarbene Eurocopter 145 als Punkt über der Ebene auftauchte. Benjamin, der eine Kühlbox aus Plastik hinter sich herschleifte, stieß zu der Gruppe, und alle klopften sich gegenseitig auf die Schulter und lächelten sich traurig an; trotz der entsetzlichen Hitze drängten sie sich dicht zusammen. Ein seltsames Zusammengehörigkeitsgefühl verband sie, dieselbe gemeinsame Ergriffenheit, die eine Gruppe von Freunden beim Betreten eines Friedhofs überkommt. Benjamin teilte die Bierdosen aus, aber sie warteten mit dem Öffnen, bis der Hubschrauber gelandet und der von den Rotorblättern hochgewirbelte Sand wieder auf den Boden zurückgesunken war. Der Rotor pfiff, und das riesige Gebläse wirbelte eine letzte Staubwolke auf, ehe er sich im Leerlauf drehte.
Die Türen der Krankenstation sprangen sperrangelweit auf, als die Fahrtrage herausgeschoben wurde. Jacques hielt die Hand des jungen Assistenzarztes, und er drückte sie fester, als die Rollen über Risse holperten, die sich infolge der Dürre gebildet hatten. Die übrigen Mitarbeiter scharten sich um sie, und jeder flüsterte aufmunternde Worte.
»Du wirst uns fehlen, Knabe«, sagte einer der Krankenpfleger und hob seine Dose.
»Ja, wer wird sich um die Ruhrkranken kümmern?«, übertrumpfte ihn ein Arzt, während er ihm die Hand auf die Schulter legte. »Alle wissen, dass ein Krankenhaus ohne Assistenzarzt ein bisschen wie ein Martini ohne Olive ist, hm?«
Einige lachten gezwungen, und die Pfleger erinnerten ihn an die Pennälerstreiche, die sie ihm gespielt hatten. Der junge Arzt spielte das Spiel mit und lächelte seinerseits tapfer, aber seine Blässe und die leichten Zuckungen in den Mundwinkeln täuschten niemanden.
»Zeit zu gehen«, flüsterte Jacques leise in sein Ohr.
Der Assistenzarzt nickte mehrmals, wobei er nicht aufhörte, diejenigen anzulächeln, die rings um ihn herumstanden, als wüsste er bereits, dass er sie nicht wiedersehen würde, aber als versuchte er dennoch, sich ihre Gesichter einzuprägen, für den Fall, dass in zwanzig oder dreißig Jahren einer von ihnen erneut seinen Weg kreuzen sollte.
Benjamin beobachtete diesen Abschied aus dem Hintergrund und schämte sich ein wenig bei dem Gedanken, dass, wenn der Zufall eines Tages den jungen Arzt und eines der anwesenden Mitglieder von MSF wieder zusammenführen sollte, nichts passieren würde. Sie würden vermutlich ein paar Banalitäten austauschen, sie würden sich Fotos ihrer Kinder zeigen und, um die Form zu wahren, zusammen ein Gläschen trinken. Aber das Gefühl brüderlicher Verbundenheit, das sie in diesem Moment erfüllte, wäre so weit weg, dass sie sich fragen würden, ob es wirklich existiert hatte. Sollte er eines Tages Megan wiedersehen, so dachte er, würde die junge Frau ganz ähnlich empfinden. Sie stießen gemeinsam an, wobei sie die Bierdosen gegen die Metallpfosten der Trage stießen, und berührten ein weiteres Mal seine Arme und Beine, um ihm ihre Freundschaft zum Ausdruck zu bringen.
Das medizinische Personal und die Bewohner des Lagers sahen den Krankenpflegern nach, die den jungen Arzt zum Hubschrauber schoben. Alle verharrten schweigend, als der Verletzte in die Kabine gehoben und dort festgeschnallt wurde. Die Rotorblätter drehten sich immer schneller, und der Helikopter hob ab, eingehüllt in eine Wolke braunen Staubs. Die Zeltleinwände knatterten, die Scheiben der Krankenstation bebten, und Wäschestücke, die an Leinen trockneten, flogen davon. Dann schwang sich der Hubschrauber plötzlich unter ohrenbetäubendem Dröhnen ins Azurblau hinauf.
Rings um Jacques und Benjamin tranken die Mitglieder des Teams ihre Bierdosen aus und zerstreuten sich in kleinen Gruppen, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen.
84
Das Polizeirevier von Damasak war ein schimmelgraues Gebäude, es erinnerte an eine alte mexikanische Bank wie in einem Western. Im Innern gingen Polizisten umher, die Akten auf den Armen trugen und dabei einen dichten Nebel aus Kippen- und Zigarrenrauch verteilten.
In der Luft schwebte ein übler Gestank nach fauligem Fleisch, Chlorreiniger und modrigen Sägespänen. In der Mitte des Raums standen zwei Käfige. Hinter den Gitterstäben ruhten sich Trinker und Prostituierte aus, ausgestreckt auf Metallbänken, oder sie
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