Die Unseligen: Thriller (German Edition)
selbst drehte. »Sie haben mir von einer Gruppe von Männern erzählt, die ihre Dienste in Anspruch genommen hat. Einer dieser Männer war ein Albino.«
»Ich … ich erinnere mich nicht.«
»Dabei ist ein weißer Neger doch eine Besonderheit, die man nicht vergisst.«
Der Angehörige der Spezialkräfte hob seinen Arm ein weiteres Mal. Man hörte einen Schlag, gefolgt von Stöhnen und Schluchzen.
»Ich will wissen, wer diese Männer waren, ich will wissen, was sie dir gesagt haben, und ich will wissen, wohin sie gegangen sind. Nick mit dem Kopf, wenn du mich verstanden hast.«
82
Der Morgen dämmerte über dem Flüchtlingslager. Anders als in der vorhergehenden Nacht war kein kühler Wind gekommen, das drückende Gefühl zu vertreiben, dass die Sonne noch immer brennen würde. An den Fenstern der Krankenstation und auf den Glühbirnen draußen wimmelte es von – ungewöhnlich vielen – Stechmücken, die durch die Risse in den Mauern ins Innere einzudringen versuchten.
Benjamin ging zwischen den Zelten hindurch und betrachtete einen kläffenden Hund, der sich, gequält von den Mückenstichen, wie ein Verdammter um sich selbst drehte.
Er hatte geglaubt, die Einsamkeit ertragen zu können, und war sich sicher gewesen, dass die Gewohnheit die Erinnerung an Megan auslöschen würde. Weit gefehlt. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan und geglaubt, in dem Bemühen, diese Leere zu füllen, den Verstand zu verlieren. Er hatte sich gefragt, ob er sich in die junge Frau verliebt hatte, und war beim ersten Schimmer der Morgenröte zu dem Schluss gelangt, dass es tatsächlich so war. Er drückte die Türen zur Krankenstation auf und stieß zu seiner Verwunderung auf Georges, der gerade dabei war, das Schloss zum Lagerraum auszuwechseln.
»Hallo Ben.«
»Schon auf den Beinen.«
Georges legte den Schraubenzieher weg und betrachtete das Stiftschloss, das er in der Hand hielt.
»Dem Chef war es wichtig. Ich habe mir gesagt, dass ihn das in gute Laune versetzen wird, angesichts dessen … nun angesichts dessen, was passiert ist.«
»Kommst du klar?«
»Nein, dieses Mistding ist zu alt«, sagte Georges.
Als ein Kind zu weinen anfing, blickte er zur Kinderstation hinüber. Er hörte der Krankenschwester zu, die an das Bett kam, um dem Kind ein Wiegenlied zu singen. Er kramte in seinen Taschen und hielt Benjamin ein Tütchen mit Kokain hin.
»Du hattest mich darum gebeten.«
»Danke. Ich werde es brauchen.«
»Hast du was von Kesiah gehört?«
»Nein. Nichts Neues. Hast du Jacques gesehen?«
»Ja. Er ist bei den Polizisten. Ich glaube, sie befragen Ihren Kollegen, ehe er ausgeflogen wird.«
Benjamin nickte und begab sich zu den Toiletten der Krankenstation. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass er allein war, öffnete er das Tütchen und gab ein bisschen Pulver auf den Rand des Waschbeckens. Er atmete das gelbliche Pulver ein und schloss die Augen. Das Kokain war noch stärker verschnitten als sonst, und ein Geruch nach Heizöl brannte in seinen Nasennebenhöhlen.
»Dieser Scheiß wird dich noch ins Grab bringen«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Jacques stand in der Tür und betrachtete ihn mit leicht geneigtem Kopf.
»Wir haben doch gesagt: keine Moralpredigten«, entgegnete Benjamin, als er den Wasserhahn aufdrehte. »Hat sich der Neuling denn an irgendetwas erinnert?«
»Er erinnert sich daran, dass er Kesiah gefunden und sie gebeten hat, mit ihm mitzukommen. Da sie unruhig gewesen sei, habe er sie in den Ruheraum fürs Personal geführt. Er erinnert sich, dass ein Mann mit Mundschutz den Raum betreten hat.«
»Sonst nichts?«
»Nein, sonst nichts.«
Benjamin machte sich das Gesicht nass und griff nach dem Handtuch, das auf dem Waschbecken lag. Er betrachtete sein Bild im Spiegel und erkannte sich nicht.
»Forman Stona ist in Damasak eingetroffen«, stieß Jacques hervor, als er die Toilette verließ. »Er will, dass wir ins Kommissariat kommen.«
»Wann?«
»Sobald der Hubschrauber, der den Verletzten abholt, wieder losgeflogen ist.«
Benjamin nickte und verharrte reglos. Vielleicht war es eine Wirkung des Cokes oder eine indirekte Folge der Schlaflosigkeit, aber er hatte sich noch nie so einsam gefühlt wie in diesem Augenblick.
83
Ein Teil der Mitarbeiter von MSF versammelte sich vor dem Krankenhaus, um auf den Rettungshubschrauber zu warten. Die knapp zehn Ärzte und Krankenpfleger zündeten sich Zigaretten an und spähten schweigend in den Himmel. In ihrer Nähe hatte sich bereits
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