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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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wird’s großartig gehen«, sagte Ben Yakov, und im nächsten Moment beugte er sich neben einen Laternenpfahl und erbrach sich in den Rinnstein.
    Andras gab ihm ein Taschentuch und half ihm, sich zu säubern; dann legte er ihm den Arm um die Schultern und führte ihn nach Hause. An der Tür nestelte Ben Yakov nach dem Schlüssel und war auf einmal den Tränen gefährlich nahe. Schließlich fand er ihn in seiner Brusttasche, und Andras half ihm nach oben. Die Wohnung sah genau so aus, wie er sie sich vorgestellt hatte: als sei der Mensch, der für die Wohnlichkeit verantwortlich war, schon seit Wochen fort. Die Spüle ertrank in schmutzigen Tellern, die Geranien auf der Fensterbank waren verwelkt, überall flogen Zeitungen und Bücher herum, auf dem ungemachten Bett lagen Croissantkrümel und Berge getragener Kleidung. Andras sorgte dafür, dass sich Ben Yakov auf den Stuhl neben das Bett setzte, während er die alte Wäsche entfernte und das Bett frisch bezog. Er befahl Ben Yakov, sein verdrecktes Hemd abzustreifen. Viel mehr brachte auch er nicht zustande; der Rest der Wohnung betrübte und entmutigte ihn zu sehr. Am schlimmsten war das Tischchen mit den leeren Teetassen und der Brotkruste: Andras erkannte eine mit Vergissmeinnicht bestickte Tischdecke, Klaras Hochzeitsgeschenk für die Braut.
    Ben Yakov kroch ins Bett und drehte das Licht aus, und Andras tastete sich zur Tür. Das alte Schloss verwirrte ihn. Er beugte sich vor und nestelte an dem verrosteten Riegel herum.
    »Lévi«, sagte Ben Yakov. »Bist du noch da?«
    »Ich bin hier«, sagte Andras.
    »Hör mal«, sagte er. »Schreib deinem Bruder.«
    Andras hielt mit der Hand auf dem Türknauf inne.
    »Ich bin nicht dumm«, sagte Ben Yakov. »Ich weiß, was zwischen den beiden passiert ist. Ich weiß, was im Zug war.«
    »Was meinst du damit?«, fragte Andras.
    »Bitte, versuch nicht, mich zu … zu schonen , oder was du da gerade tust. Das ist beleidigend.«
    »Woher weißt du, was im Zug passiert ist?«
    »Ich weiß es einfach. Als sie hier ankamen, merkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Und sie hat es mir eines Nachts gestanden, als ich ihr Gemeinheiten an den Kopf warf. Aber es war längst offensichtlich. Sie hat es versucht – dagegen angekämpft, meine ich. Sie ist ein gutes Mädchen. Aber sie hat sich in ihn verliebt. Mehr nicht. Ich bin nicht so ein Mann wie er, Andras, das solltest du wissen.« Er dachte nach und fügte hinzu: »Oh, Gott …«, dann zog er den Nachttopf unter dem Bett hervor und übergab sich. Er taumelte ins Badezimmer im Flur und kehrte mit einem Handtuch zurück, wischte sich übers Gesicht. »Schreib ihm«, sagte er. »Sag ihm, er soll sie besuchen. Aber erzähl mir nicht, wie es weitergeht, ja? Ich will es nicht wissen. Und ich kann dich eine Weile nicht sehen. Es tut mir leid, wirklich. Ich weiß, dass das nicht deine Schuld ist.« Er stieg ins Bett und drehte sich zur Wand. »Jetzt geh nach Hause, Lévi.« Seine Stimme war durch das Kopfkissen gedämpft. »Lieb von dir, dich um mich zu kümmern. Hätte ich auch für dich getan.«
    »Das weiß ich«, erwiderte Andras. Noch einmal rüttelte er am sturen Riegel, und dieses Mal öffnete sich die Tür. Er ging nach Hause in die Rue des Écoles, holte einen Notizblock hervor und begann, einen Brief an seinen Bruder zu schreiben.

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    24.
Die S. S. Île de France
    ELISABET BRANNTE NICHT WIRKLICH DURCH; als es schließlich so weit war, wusste Klara bereits seit Monaten vom bevorstehenden Aufbruch ihrer Tochter. Paul Camden kam fast jeden Sonntagmittag zum Essen, um Klaras Vertrauen und ihre Gunst zu gewinnen. In seinem gemächlichen Französisch mit den abgeschwächten Vokalen erzählte er Klara vom Anwesen seiner Familie daheim in Connecticut, wo seine Mutter Springpferde züchtete und trainierte, von der Stellung seines Vaters als Direktor eines Energiekonzerns in New York, von seinen Schwestern, die beide die Radcliffe University besuchten und Elisabet lieben würden. Doch das Problem blieb, was papa und maman Camden davon halten würden, wenn ihr Sohn eine mittellose Jüdin von unklarer Abstammung nach Hause brächte. Die beste Lösung, fand Paul, sei eine Hochzeit noch vor der Abreise nach New York. Es wäre einfacher, als Eheleute einzureisen, und in Amerika angekommen, würde die Eheschließung als gegebene Tatsache eine deutliche Sprache sprechen, welche Einwände seine Eltern auch haben mochten. Paul glaubte, sie würden Elisabet liebevoll aufnehmen, sobald

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