Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
sie sie kennengelernt hätten, doch Klara flehte die beiden an, mit der Hochzeit zu warten, bis Paul alles geklärt und seine Eltern die Möglichkeit gehabt hätten, sich an die Vorstellung zu gewöhnen; wenn er Elisabet heiratete, ohne sie vorher einzuweihen, würden sie ihren Sohn enterben, davon war Klara überzeugt. Sicherheitshalber hatte Paul für den Fall der Fälle begonnen, die Hälfte der unglaublichen Summe zu sparen, die ihm der Buchhalter seines Vaters jeden Monat zukommen ließ. Er war in eine kleinere Wohnung umgezogen und nahm seine Mahlzeiten tatsächlich in der Studentenkantine ein, statt sie sich von Restaurants liefern zu lassen; er hatte seine Garderobe nicht mehr erweitert und gebrauchte Bücher für den Unterricht gekauft. Diese Sparsamkeit hatte er von Andras gelernt, der feststellen musste, dass Paul selbst die schlichtesten Grundsätze des Wirtschaftens abgingen. Er hatte beispielsweise noch nie davon gehört, Brot vom Vortag zu kaufen, hatte noch nie selbst seine Schuhe geputzt oder seine Hemden gewaschen; Paul staunte, dass man den alten Hut wieder in Form bringen lassen konnte, statt einen neuen zu kaufen.
»Aber dann sieht doch jeder, dass es ein alter Hut ist«, protestierte er und wiederholte die letzten Worte auf Englisch: » Old hat. In den Staaten ist das ein abschätziger Begriff. So nennt man etwas Vorhersehbares, etwas Banales oder démodé .«
»Man braucht doch nur ein neues Hutband zu nehmen«, erklärte Andras. »Dann merkt keiner, dass es dein ohld het ist. Außerdem achtet niemand darauf, was du auf dem Kopf trägst.«
Paul lachte. »Wahrscheinlich hast du recht, alter Herr«, sagte er und ließ sich von Andras zeigen, wohin man einen Hut zum Auffrischen bringen konnte.
An jenen Sonntagen, wenn Paul zum Essen kam, merkte Andras oft, dass Klara sich in ein aufmerksames Schweigen zurückzog. Er wusste, dass sie den Zukünftigen ihrer Tochter beobachtete, ihn abschätzte, registrierte, wie er Elisabet behandelte, wie er auf Andras’ Fragen nach seiner Arbeit einging, wie er mit Frau Apfel sprach, wenn sie káposzta servierte. Ebenso beobachtete sie Elisabet. Diese Musterung besaß eine gewisse Verbissenheit, so als müsse sich Klara jede Nuance von Elisabets Existenz einprägen. Ihr schien schmerzlich bewusst zu sein, dass es die letzten Tage waren, die sie mit ihrer Tochter unter einem Dach verbrachte. Es gab nichts, was Klara dagegen tun konnte; seit Jahren bewegte sich Elisabet von ihr fort, in winzigen, aber unübersehbaren Schritten, und nun würde sie sich endgültig von ihr trennen, übers Meer davonziehen, würde unerfahren eine Ehe mit einem nichtjüdischen Mann eingehen, dessen Eltern sie womöglich nicht akzeptierten. Schlimmer wurde alles noch dadurch, dass am selben Tisch auch die frisch geschiedene Ilana di Sabato saß; das lebende Beispiel dafür, wie eine Ehe zwischen zwei sehr jungen Menschen scheitern konnte. Ilana hockte in einsamer Verzweiflung da und berührte ihr Essen kaum; sie hatte sich ihren herrlichen schwarzen Zopf im Nacken abgeschnitten, als sie Ben Yakov heiratete, jetzt klebte ihr das Haar unglücklich am Kopf wie einer jener eng anliegenden Hüte, die zehn Jahre zuvor in Mode gewesen waren. Old hat, dachte Andras. Es tat weh, Ilana anzusehen. Er hatte noch keine Antwort auf seinen Brief erhalten und wollte erst danach mit ihr über Tibor sprechen.
Das Paar wollte Anfang August in See stechen, und vieles musste für die Reise vorbereitet werden. Elisabets Kleidung war die eines Schulmädchens; sie musste sich die Garderobe einer verheirateten Frau zusammenstellen. Paul bestand darauf, einen Teil der Kosten zu übernehmen, und schenkte Elisabet als Erstes einige Luxusartikel, die er immer als unerlässlich erachtet hatte: ein Tenniskostüm aus Leinen und ein Paar Leinenschuhe mit Ledersohle, eine Perlenkette mit Platinschließe und einen Satz Reisekoffer aus rehbraunem Leder mit in Gold geprägten Initialen. Jede dieser Anschaffungen dezimierte seine Ersparnisse, die er unter Andras’ Anleitung gebildet hatte. Schließlich schlug Klara so vorsichtig wie nur eben möglich vor, dass Paul sich bei ihr erkundige, wie das Geld am besten ausgegeben werden könne; Elisabet bräuchte dringend Dinge wie Batistunterwäsche, Nachthemden und Straßenschuhe. Eine Füllung in ihren Zähnen müsse erneuert werden. Sie wollte ihr langes Haar kurz schneiden lassen. Das alles kostete Geld. Wenn Andras abends ging, hatte Klara immer ihren Nähkorb neben sich
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