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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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musste.
    Was niemand erwähnte – weder während der Hochzeit selbst noch bei dem anschließenden Festessen in der Benczúr utca – war Andras’ unmittelbar bevorstehende Abreise nach Kárpátalja. Doch das Wissen zog sich wie ein Klagelied durch alle Geschehnisse des Tages. Es stellte sich heraus, dass József ein ähnliches Schicksal erspart geblieben war; der Familie Hász war es gelungen, einen Regierungsangestellten zu bestechen und ihren Sohn so vom Arbeitsdienst freizukaufen. Die Befreiung hatte einen Preis gehabt, der dem Wohlstand der Hász’ entsprach: Sie hatten ihr Ferienhaus am Plattensee an den Beamten abtreten müssen, wo Klara die Sommer ihrer Kindheit verbracht hatte. Józsefs Studentenvisum war erneuert worden; sobald die Grenze wieder geöffnet wurde, würde er nach Frankreich zurückkehren, auch wenn niemand wusste, wann das wäre und ob Frankreich überhaupt Bürger aus Ländern aufnähme, die mit Deutschland verbündet waren. Andras’ Eltern waren nicht in der Lage, ihren Sohn freizukaufen. Das Sägewerk deckte so gerade ihre Existenz. Klara hatte angedeutet, ihr Bruder könne einspringen, doch Andras weigerte sich, diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen. Zuerst einmal bestand die Gefahr, die Behörden auf die Verbindung zwischen Andras und der Familie Hász aufmerksam zu machen, doch genauso wenig wollte Andras seinem Schwager finanziell zur Last fallen. Verzweifelt schlug Klara vor, ihre Wohnung und das Ballettstudio in Paris zu verkaufen, doch das wollte Andras ihr ebenso wenig erlauben. Die Wohnung auf der Rue de Sévigné war ihre Heimat. Wenn Klaras Situation in Ungarn bedenklicher würde, müsste sie auf der Stelle dorthin zurückkehren, auf welche Weise auch immer. Die Entscheidung hatte auch eine andere Seite: Solange Klara die Wohnung und das Studio besaß, konnten sie noch der Vorstellung anhängen, eines Tages wieder zusammen in Paris zu leben. Andras würde seine zwei Jahre beim Arbeitsdienst absolvieren; dann mochte der Krieg, wie Klara gesagt hatte, schon vorbei sein, und sie würden nach Frankreich zurückkehren können.
    Für einige süße Stunden gelang es Andras während der Hochzeitsfeier auf der Benczúr utca, seine bevorstehende Abreise fast zu vergessen. Auf einer großen Empore, die freigeräumt worden war, wurde er neben seiner Braut auf einem Stuhl emporgehoben, während zwei Musikanten Zigeunermelodien spielten. Anschließend tanzte er mit Mátyás und seinem Vater, sie hielten sich an den Armen und drehten sich, bis sie das Gleichgewicht verloren. József Hász konnte der Rolle des Gastgebers selbst auf einer Hochzeit, die er zu missbilligen schien, nicht widerstehen und schenkte immer wieder Champagner nach. Und Mátyás hielt die Tradition aufrecht, Braut und Bräutigam zum Lachen zu bringen, indem er einen chaplinesken Stepptanz mit einem zusammenknickenden Spazierstock und einem Hut aufführte, der immer wieder davonhüpfte. Klara weinte vor Lachen. Ihre blasse Stirn war gerötet, dunkle Locken lösten sich aus ihrem Knoten. Dennoch konnte Andras unmöglich vergessen, dass dies alles flüchtig war, dass er seiner Braut bald einen Abschiedskuss geben und in einen Zug steigen würde. Auch sonst wäre seine Freude nicht ungetrübt gewesen. Es gelang ihm einfach nicht, die Kühle der jungen Frau Hász und die allgegenwärtigen Erinnerungen daran zu ignorieren, wie stark sich Klaras ehemaliges Leben von seinem unterschied. Seine Mutter, so elegant sie in ihrem grauen Kleid auch war, schien die feinen Champagnerflöten der Hász’ nur mit Unbehagen anzufassen. Sein Vater hatte Klaras Bruder wenig zu sagen, noch weniger fiel ihm zu József ein. Wenn Tibor da gewesen wäre, dachte Andras, hätte der vielleicht eine Möglichkeit gefunden, die Kluft zu überbrücken. Doch Tibor war nicht da, genauso wenig wie drei weitere Personen, deren Fehlen die Ereignisse des Tages irgendwie unwirklich erscheinen ließ: Polaner und Rosen, die allerdings Glückwunschtelegramme geschickt hatten, und Ben Yakov, von dem nur fortgesetztes Schweigen zu hören war. Andras wusste, dass Klara in ihrem Glück unter ihrer ganz eigenen Trauer litt: Sie musste bestimmt an ihren Vater und an Elisabet denken, Tausende von Meilen entfernt.
    Es wurde über den Krieg und Ungarns mögliche Rolle darin gesprochen. Jetzt, da Polen gefallen sei, sagte György Hász, könnten England und Frankreich Deutschland vielleicht zu einem Waffenstillstand bewegen, bevor Ungarn gezwungen werden würde, seinem

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