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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Augen. Als er die Hand fortnahm, stieß Dwina einen kleinen Schrei aus. Um die sehende Pyramide hatte sich das unendliche Band gelegt. Mit Ausnahme des Auges in der Mitte leuchteten die Linien blau, als wären sie aus Sternenlicht gemalt. Schnell verblasste das strahlende Dreiecksband wieder, bis nur noch die gravierte Pyramide übrig blieb.
    »Wie hast du das gemacht?«, hauchte Dwina. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
    »Ich habe nur sichtbar gemacht, was die ganze Zeit über da war.«
    »Aber wie konntest du es sehen, wenn es doch…?« Sie schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Kann ich in diesem Augenblick meine Liebe zu dir sehen? Oder gar die deine zu mir? Nein. Aber trotzdem weiß ich, dass sie da ist. So ähnlich ist es…« Trevir verstummte, weil sich von unten Dambaraghs Stimme meldete.
    »Mit Verlaub, was stellt Ihr da oben an?«, raunte der Parömiograph.
    »Wir haben einen wichtigen Hinweis entdeckt, einen Beweis für die Richtigkeit unserer Annahme«, gab Trevir leise zurück.
    »Verzeiht, wenn meine Frage dumm klingen sollte, aber von welcher Vermutung redet Ihr?«
    »Dass hier der Schwingungsknoten ist, an dem das Geschick des Triversums entschieden wird.«
     
     
    Die sechste und gewaltigste Welle in Trevirs Leben näherte sich rasch. Im Vorfeld des Ereignisses spürte er einmal mehr die schon gewohnte Unruhe.
    Es gab allerdings auch sonst genügend Gründe, nervös zu sein. Die von Abacuck genannten Quellen hatten zwar neues Licht auf die »Mechanik des Triversums« geworfen, aber im Hinblick auf Mologs Vorhaben keine bahnbrechenden Erkenntnisse geliefert.
    Auf welche Weise wollte er die drei Welten verschmelzen und wie konnte das Gleichgewicht bewahrt werden? Eines der dreiundzwanzig erbeuteten Werke wies darauf hin, dass »Schwingungsknoten miteinander in Deckung gebracht werden müssen«. Doch wie sollte das geschehen? Allzu deutlich erinnerte sich Trevir an Abacucks Axiom.
    Wer den Schwingungsknoten kontrolliert, der beherrscht das ganze System; wer ihn auflöst, entfesselt es.
    Offenbar enthielt ausgerechnet »Phys 1221«, das verschollene vierundzwanzigste Buch aus Abacucks Liste, den Schlüssel zu diesen Fragen. Aber ein drittes Mal würde Wulf sich nicht übertölpeln lassen. Die Gebäude des ehemaligen Britannischen Museums, zu denen auch die Rotunde des Wissens gehörte, waren inzwischen uneinnehmbar geworden. Auf Dwinas Vorschlag hatte ein kleiner Trupp von Kundschaftern die Möglichkeit geprüft, den Herrn des Schwarzen Heeres direkt anzugreifen. Ein aussichtsloses Unterfangen, warnten die Badda. Molog habe sich in dem Komplex verschanzt und werde von mehreren Hundertschaften seiner Krieger bewacht.
    Bei einem Treffen mit Ceobba und dem Rat der Badda, zwei Tage vor der sechsten Welle, erklärte Trevir müde: »Uns bleibt nur eine Möglichkeit: Übermorgen müssen wir Molog in Saint Dryden’s Temple auflauern, um zu sehen, was er vorhat. Vielleicht gelingt es mir, rechtzeitig Kontakt zu meinen Drillingsbrüdern in den anderen beiden Welten aufzunehmen. Die Unsichtbare Pyramide könnte ihnen das Wissen überliefert haben, das uns fehlt.« Seiner Stimme war anzuhören, wie er empfand. Er spürte, dass er sich Molog und Wulf würde stellen müssen, um eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes zu verhindern.
     
     
    Am Tag danach meldeten die Kundschafter eine überraschende Betriebsamkeit aus dem Tempel. Als es Nacht wurde, schlich der Hüter des Gleichgewichts sich nach oben. Der Fußboden unter der Kuppel war gesäubert und die Trümmer des eingestürzten Daches auf die Seite geschafft worden. Außerdem hatte man den steinernen Altartisch vom Westende des Längsschiffes hierher, ins Zentrum des Domes geschafft. Wozu dieser kräftezehrende Aufwand?, fragte sich Trevir. Wollte Molog etwa seine Götter um Hilfe anrufen, um das Triversum zusammenzuketten? Leise zog sich der Letzte des Dreierbunds wieder in die dunkle Tiefe unter dem Tempel zurück. Ceobba hatte im Umkreis sowie im Innern des Gebäudes einige Späher postiert, um Alarm zu schlagen, sobald sich etwas rührte.
    Den Rest der Nacht verbrachte Trevir allein mit Dwina. Sie lagen aneinander gekuschelt auf dem Bett und sprachen über die nahe und ferne Zukunft. Orrik hing unbemerkt in einem dunklen Winkel unter der Decke und wachte über sie.
    »Ob es überhaupt so etwas wie Zukunft für unsere Welt gibt?«, fragte Dwina leise.
    Seine Antwort klang wie ein Orakel. »Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, andernfalls können

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