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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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jahrelang nicht glauben mochten und heftig darüber diskutierten, wurde sein Artikel über die Grenzen des Zellwachstums schließlich zu einer der am häufigsten zitierten Veröffentlichungen des ganzen Fachgebiets. Und er brachte eine Erleuchtung: Seit Jahrzehnten waren Wissenschaftler darum bemüht, unsterbliche Zelllinien zu züchten. Sie hatten dazu aber keine bösartigen, sondern normale Zellen verwendet, und es hatte nie geklappt. Sie glaubten, ihre Methoden seien das Problem, in Wirklichkeit aber lag es einfach daran, dass normale Zellen eine vorprogrammierte Lebensdauer haben. Über das Potenzial, unsterblich zu werden, verfügen nur Zellen, die von einem Virus oder durch eine genetische Mutation transformiert wurden.

    Aus der Untersuchung der HeLa-Zellen wusste man, dass Krebszellen sich unbegrenzt teilen können; deshalb spekulierten die Wissenschaftler schon seit Jahren darüber, ob Krebs durch einen Defekt in dem Mechanismus entsteht, der die Zellen absterben lässt, wenn sie ihr Hayflick-Limit erreichen. Ebenso wusste man, dass an jedem Ende eines Chromosoms ein Telomer liegt, ein DNA-Abschnitt, der mit jeder Zellteilung ein wenig kürzer wird – einer Uhr vergleichbar, die allmählich abläuft. Während des Lebens einer normalen Zelle verkürzen sich die Telomere bei jeder Teilung, bis sie fast verschwunden sind. Anschließend stellt die Zelle die Teilung ein und beginnt abzusterben. Dieser Prozess steht im Zusammenhang mit dem Alter eines Menschen: Je älter wir sind, desto kürzer sind unsere Telomere und desto weniger Zellteilungen haben unsere Zellen noch vor sich, bevor sie zugrunde gehen. Anfang der Neunzigerjahre entdeckte ein Wissenschaftler an der Yale University mithilfe der HeLa-Zellen, dass menschliche Krebszellen die Telomerase enthalten, ein Enzym, das die Telomere wieder aufbaut. Mit der Telomerase können sich die Telomere einer Zelle unbegrenzt regenerieren. Damit war der Unsterblichkeitsmechanismus der HeLa-Zellen aufgeklärt: Die Telomerase zieht die tickende Uhr am Ende von Henriettas Chromosomen immer wieder auf, so dass sie nie alt werden und nicht absterben. Diese Unsterblichkeit und das starke Wachstum von Henriettas Zellen sorgen dafür, dass HeLa in so vielen anderen Kulturen die Oberhand gewinnen konnte – sie lebten einfach länger und vermehrten sich stärker als alle anderen Zellen, mit denen sie in Kontakt kamen.

28
    Nach London
    I rgendwann wurde in London der BBC-Produzent Adam Curtis auf die Geschichte von Henrietta Lacks aufmerksam. 1996 begann er dann mit der Arbeit an jenem Dokumentarfilm, den ich später in Courtney Speeds Friseursalon zu sehen bekam. Als Curtis mit Assistenten, Kameras und Mikrofonen nach Baltimore kam, glaubte Deborah, jetzt würde sich alles ändern. Endlich, so dachte sie, würden sie und der Rest der Welt die wahre Geschichte über Henrietta Lacks und die HeLa-Zellen erfahren, und sie könnte endlich darüber hinwegkommen. Von nun an unterschied sie ihre Lebensphasen in »vor London« und »nach London«.
    Curtis und seine Mitarbeiter berichteten gründlicher als alle anderen zuvor über die Geschichte der Familie Lacks. In Videoaufnahmen von mehreren Dutzend Stunden befragten sie Deborah, brachten sie dazu, vor der Kamera in vollständigen Sätzen zu sprechen und nicht vom Thema abzuschweifen. Deborah sagte Dinge wie: »Früher bin ich in eine Ecke gegangen, nachdem ich verheiratet war. Wissen Sie, mein Mann wusste überhaupt nichts über mich, ich war einfach traurig und habe für mich allein geweint … In meinem Kopf stelle ich mir immer diese Fragen … Warum, o Herr, hast Du mir die Mutter weggenommen, wo ich sie doch so brauchte?«
    »Was ist Krebs?«, fragte der Interviewer.
    Die BBC interviewte Deborah vor ihrem Home-House in Clover. Sie filmten Day und Sonny, wie sie am Grabstein von Henriettas Mutter lehnten und sich darüber unterhielten, was für eine gute Köchin Henrietta gewesen sei, und dass sie nie etwas von den Zellen gehört hätten, bis Wissenschaftler anriefen
und ihnen Blut abnehmen wollten. Das Team reiste auch mit der Familie Lacks nach Atlanta zu einer Tagung, die Roland Pattillo – der Wissenschaftler, der mir wenig später den Weg zu Deborah wies – zu Henriettas Ehren veranstaltete. Pattillo wuchs in den Dreißigerjahren in einer kleinen Stadt in Louisiana auf, in der Rassentrennung herrschte. Sein Vater war Schmied und arbeitete später bei der Eisenbahn. Roland ging als Erster aus seiner Familie zur Schule,

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